Rhein-Neckar-Zeitung, 24.7.99

Gewalttaten ausländischer Extremisten haben sich verdoppelt

Köln (dpa) - Die Gewalttaten von extremistischen Ausländern in Deutschland haben sich in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mehr als verdoppelt. In einem dpa-Gespräch wies der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, am Freitag in Köln darauf hin, die Sicherheitsbehörden hätten in den ersten fünf Monaten 1999 mehr als 80 Fälle von Landfriedensbruch (1998: 20) und mehr als 90 Brandstiftungen (1998: drei) von Mitgliedern extremistischer Organisationen von Ausländern registriert. Dieser erhebliche Anstieg sei überwiegend auf die Aktivitäten der Anhänger des kurdischen Separatistenführers Abdullah Öcalan nach dessen Festnahme im Februar in Nairobi zurückzuführen.

Die in Deutschland verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist nach Einschätzung Frischs trotz der Festnahme und Isolierung von Öcalan in türkischer Haft entscheidungs- und handlungsfähig geblieben. Ihre organisatorischen Strukturen seien nach wie vor stabil. «Es läßt sich erahnen, mit welchen PKK-Aktionen zu rechnen ist, sollte Öcalan hingerichtet werden», erklärte Frisch. Öcalan und seine Anhänger schienen erkannt zu haben, daß zugunsten der Kurden mit Terrorismus und mit militärischen Mitteln letztlich nichts zu erreichen sei, sondern nur mit politischen Schritten. Darin liege eine große Chance.

«Wenn es der Türkei gelänge, den Kurdenkonflikt im eigenen Lande anzugehen, indem die kulturelle Eigenständigkeit der Kurden und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen der kurdischen Bevölkerung gesehen werden, hätte dieses auch positive Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland und in den europäischen Nachbarländern, schließlich auch auf die Existenz der PKK», sagte Frisch. Allerdings dürfe bei einem solchen Prozeß die staatliche Einheit der Türkei nicht in Frage gestellt werden.

Auf den Links- und Rechtsextremismus in Deutschland eingehend erläuterte Frisch, von 1997 bis 1998 sei die Zahl der Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund von 790 auf 708 um 10,5 Prozent zurückgegangen. Der rückläufige Trend halte an. Auf die neuen Länder entfielen 407 Gewalttaten, das seien 57,5 Prozent. Bei Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund sei im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Rückgang von 57 Prozent festzustellen.

Die rechtsextremistischen Aktivitäten im Internet würden quantitativ wie qualitativ zunehmen, teilte Frisch mit. Gegenwärtig seien dem Verfassungsschutz bereis über 300 rechtsextremistische Homepages bekannt, 1998 seien es 200 gewesen. Deutsche Rechtsextremisten würden «technisch immer anspruchsvoller für ihre verfassungsfeindlichen Ziele werben».

Bei einer Wiederaufnahme der Castor-Transporte werden nach Einschätzung von Frisch militante linksextremistische Atomkraftgegner voraussichtlich wieder massive Blockadeaktionen versuchen. Ihr Ziel werde es sein, die Transporte bereits am Ausgangspunkt zu verhindern. Alle Linksextremisten bekennten sich grundsätzlich zur Gewalt als Mittel in der politischen Auseinandersetzung. Von der Existenz einer handlungsfähigen linksterroristischen Struktur, die schwerste Anschläge bis hin zu Mordtaten planen und ausführen könne, «ist derzeit in Deutschland nicht auszugehen», sagte Frisch. Die Entwicklung der PDS als Gesamtpartei müsse aufmerksam weiter beobachtet werden.

Vor allem östliche Geheimdienste, insbesondere der russische Aufklärungsdienst SWR, betrieben in Deutschland neben der anhaltenden politischen und militärischen auch Wirtschaftsspionage, schilderte Frisch. Die Behauptungen über amerikanische Spionage, «mit denen wir häufig konfrontiert werden, kann ich mangels konkreter Anhaltspunkte nicht bestätigen», sagte Frisch. Die in der Öffentlichkeit häufig genannten Zahlen über amerikanische Spionagefälle und die dadurch angerichteten Schäden seien spekulativ. Die Amerikaner hätten selbst ausdrücklich erklärt, keine Wirtschaftsspionage gegen die Bundesrepublik zu betreiben. Frisch bedauerte ausdrücklich, daß die Wirtschaft zu wenig Bereitschaft zeige, in konkreten Verdachtsfällen die Verfassungsschutzbehörden zu unterrichten.