Weser Kurier, 23.7.99

Wenn die Solidarität helfen könnte...

Kurdenfamilie Özalp aus Vollersode droht die Abschiebung

Vollersode. "Jetzt kann man alle Träume in die Mülltonne werfen", resigniert Nurullah Özalp. Der 18jährige Schüler des Gymnasiums Osterholz-Scharmbeck hatte viele Zukunftspläne geschmiedet. Nun jedoch wird der junge Kurde von der Polizei gesucht. Er soll, ebenso wie seine 20jährige Schwester Saadet, in die Türkei abgeschoben werden. Den Eltern und Geschwistern der beiden droht das gleiche Schicksal.

Wären Sympathien oder die vielbeschworene Integration Kriterien für die Entscheidung, könnte sich die Familie berechtigte Hoffnungen machen. Daß ihr Wohnort Vollersode für die Özalps keine "Fremde" mehr ist, wurde am Montag nachmittag sehr deutlich. Da nämlich versammelten sich in der Bornreiher Straße Vertreter der Kirchengemeinde, Nachbarn, Lehrer und Mitschüler von der KGS, wo drei Kinder der Familie Özalp unterrichtet werden.

Daß sie in ihrer Umgebung auf Solidarität zählen können, haben die Özalps in den vergangenen Wochen immer wieder erfahren. In der KGS wurden Unterschriften gesammelt mit der Bitte, der Familie den weiteren Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Und dieser Wunsch wird auch sehr eindringlich aus den Briefen deutlich, die Schüler/innen der Klassen 6.4 und 8.3 geschrieben haben. In den Schreiben an die Kreisverwaltung machen vor allem Klassenkameradinnen ihre Freundschaft zu den Özalp-Töchtern und die Sympathie für die Familie deutlich.

Ob diese Bekundungen noch helfen können, ist fraglich. "Für die Familie ist es eine Minute vor zwölf", urteilt der Hamberger Diakon Erdwig Kramer, der die Entwicklung aufmerksam verfolgt hat. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Lüneburg das Asylbegehren in letzter Instanz ablehnte, habe die gesamte Familie bereits die Aufforderung zur Ausreise erhalten. Die Abschiebung wurde bislang erst für die Kinder Nurullah und Saadet verfügt, für deren Geschwister und die Eltern liegen den Behörden die notwendigen Papiere noch nicht vollständig vor.

Die dadurch gewährte Gnadenfrist ist jedoch kurz, Erdwig Kramer rechnet mit allenfalls einer bis zwei Wochen. Derweil halten sich Nurullah und Saadet versteckt. Die Polizeibeamten, die am Montag im Verlauf der Solidaritätsversammlung in der Bornreiher Straße erschienen, zogen unverrichteter Dinge wieder vondannen.

Die Geschichte, die sich jetzt derartig zuspitzt, begann vor sieben Jahren. 1992 kam das Ehepaar Hussein und Mellehad Özalp mit seinen Kindern aus der Türkei nach Deutschland. Im Kreis Osterholz trafen sie eine Reihe von Verwandten wieder, die diesen Weg schon etwa zehn Jahre zuvor gegangen waren. Diese Flüchtlinge hatten damals Unterstützung durch den Ihlpohler Schulleiter Dirk Pleuß gefunden, der ihre Betreuung übernahm und bei der Wohnungssuche half. Mit den damaligen Neuankömmlingen, die "mittlerweile etablierte Bürger sind" und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, verbindet Pleuß noch immer Freundschaft.

Eine ähnliche Entwicklung scheint bei den Özalps aus Vollersode zumindest in Frage gestellt. Ihre Asylbegehren wurden von Beginn an und durch mehrere Instanzen immer wieder abgewiesen. Auch wenn Anwälte und Fürsprecher wie Erdwig Kramer immer wieder auf die Situation in der Türkei hinweisen, die für Kurden besonders durch die Inhaftierung ihres Führers Öcalan nicht ungefährlich sei - die Lageeinschätzung der Behörden und der Gerichte führt überwiegend doch zur Abschiebung.

Für die Özalps bleibt nur die Hoffnung, daß ihr Bremer Anwalt doch noch einen erfolgversprechenden Pfeil in seinem Köcher findet, mit dem das Blatt in letzter Sekunde gewendet werden könnte.

Dietmar Hupe