Die Welt, 24.7.99

Zeitung: Staatsanwalt vertuscht Polizeifehler bei Kurdenkrawallen

Israelisches Blatt kritisiert Berliner Behörden

Von Norbert Jessen

Berlin/Tel Aviv ­ Unter der Schlagzeile "Falsches Zeugnis auf deutsche Art" veröffentlichte die angesehene israelische Tageszeitung "Haaretz" am Freitag einen kritischen Bericht zum Stand der Untersuchungen der Berliner Staatsanwaltschaft nach dem Angriff kurdischer Demonstranten auf das israelische Generalkonsulat in Berlin.

Am 17. Februar waren vier kurdische Demonstranten beim Versuch, das Konsulat zu besetzen, getötet worden. Laut "Haaretz" ist die Berliner Staatsanwaltschaft bemüht, schwere Versäumnisse der Berliner Polizei vor dem Angriff zu vertuschen. Statt dessen konzentriere sie sich auf die Abgabe der Schüsse durch die israelischen Sicherheitsbeamten. Mit deren diplomatischer Immunität soll dann die Unmöglichkeit einer endgültigen Wahrheitsfindung gerechtfertigt werden.

Nach eigenen Angaben wußte die Berliner Polizei spätestens 17 Minuten vor Beginn vom geplanten Angriff. Trotzdem sei das Konsulat nicht vorgewarnt worden, was eine Räumung des Gebäudes ermöglicht hätte. Obwohl ein sicheres Verlassen durch Fenster auch nach Beginn des Angriffes leicht möglich gewesen wäre, reagierten die vor dem Haus postierten Polizisten auf die Hinweise zweier deutscher Konsulatsangestellten nur mit der Erklärung, sie hätten Befehl, nicht das Konsulat zu betreten. Auf dem von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Video seien deutlich diese Polizisten zu sehen, wie sie kurz vor dem eigentlichen Angriff und der Abgabe der Schüsse ihren Posten fluchtartig verlassen.

Die Aussagen zweier deutscher Konsulatsangestellten zu diesen Vorgängen seien aus dem Zeugenprotokoll gestrichen worden. Bis heute sei nicht bekannt, wer für die Streichung der kritischen Passagen aus dem Protokoll verantwortlich sei. Vizekonsul Rachman Rogel, dessen Aufforderungen zur Hilfe durch das geöffnete Fenster von den Polizisten ebenfalls ignoriert worden sei, wartete vergeblich auf eine Vorladung, um auszusagen.

"Die Vorgänge entwickelten sich zum Absurden hin", zitiert "Haaretz" eine "wichtige Quelle aus dem Konsulat", "monatelang, als alles noch den Anschein weckte, es gehe um das gemeinsame Ziel der Wahrheitsfindung, haben wir immer wieder unsere Hilfe angeboten. Jetzt, wo der Flickmantel, den man den Sicherheitsbeamten näht, fast fertig ist, erinnert man sich plötzlich wieder an uns. "

Die Berliner Staatsanwaltschaft verlangsame die Untersuchung offensichtlich aus politischer Rücksichtnahme auf Innensenator Werthebach (CDU) und Gerichtssenator Korting (SPD), so die Schlußfolgerung in "Haaretz". Da auch eine Senatsuntersuchung auf Druck der Opposition stattfinde, könnten unliebsame Enthüllungen zu den polizeilichen Versäumnissen vor allem kurz vor den nächsten Wahlen politisch unbequem werden. Die Aussage der israelischen Beamten sei daher nicht das vordringliche Ziel der Untersuchung. "Wie es aussieht, wird die israelische Regierung sich mit dem Problem eines Immunitätsverzichts gar nicht auseinandersetzen müssen, da die deutsche Regierung einen derartigen Antrag der Berliner Staatsanwaltschaft nicht weiterleiten wird."