taz, 22.7.1999 Seite 1

Türkisches Verwirrspiel

Pünktlich zu Joschka Fischers Visite wartet der Geheimdienst mit einem PKK-Führer auf

Berlin (taz) - Der Türkeibesuch von Außenminister Joschka Fischer wird kein geräuschloses diplomatisches Treffen. Noch vor dem Abflug Fischers gab es einen ersten Skandal. Der türkische Nachrichtensender NTV meldete: "Der türkische Geheimdienst hat Dienstag nacht Cevat Soysal, die Nummer zwei der PKK in Deutschland, gefaßt und in einem Privatflugzeug in die Türkei entführt." Eingeblendet wurde der Reisepaß Soysals, abgestempelt in Mönchengladbach.

Die von NTV ausgestrahlten Bilder erinnern an die Verschleppung des PKK-Chefs Öcalan im Februar. Zwei mit Skimützen maskierte Agenten kommen mit ihrer Beute, der die Augen verbunden sind, auf dem Flughafen in Istanbul an.

Es war die Wiederholung eines nationalen Triumphes, der dem türkische Ministerpräsidenten Bülent Ecevit vor dem Treffen mit Fischer zumindest nicht ungelegen kommt. Denn von Fischer wird erwartet, daß er die Menschenrechtssituation anspricht und auf eine politische Lösung des Kurdenproblems drängt. Die ist nur möglich, wenn das Todesurteil gegen Öcalan nicht vollstreckt wird. Über Stunden verwirrten gestern der türkische Geheimdienst und Ecevit die Öffentlichkeit. Soysal sei in einem europäischen Land festgenommen worden. Wo genau, darauf wollte man sich nicht festlegen. Erst als die PKK Einzelheiten mitteilte, räumte Ecevit ein, daß die Festnahme nicht in Deutschland erfolgt sei.

Tatsächlich wurde Soysal vor knapp einer Woche in Moldawien inhaftiert. Dies teilten sowohl ERNK, der politische Arm der PKK, als auch der Landesverfassungsschutz NRW mit. Soysal ist ein in Deutschland anerkannter Asylbewerber und soll, so das Düsseldorfer Innenministerium, unter einem Decknamen Mitglied der Europaleitung der PKK in Brüssel gewesen sein. Der "Fall Soysal" ist eine Brüskierung Fischers und eineMachtdemonstration Ecevits. Er weiß, der Weg in die EU führt nur über eine Lösung der Kurdenfrage. Bevor er Fischer Zugeständnisse machen kann, muß er gegenüber seinen Wählern noch einmal Muskeln zeigen.

Eberhard Seidel