jungle world, 14.7.99

Viel Druck im Kessel

Die PKK bleibt den deutschen Strafverfolgern auch ohne Krawalle der Feind Nummer eins

Die Erklärung des Präsidialrates der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) klang martialisch. "Das gefährliche Urteil wird nicht nur die Türkei und Kurdistan, sondern die ganze Region in das Feuer einbeziehen", hieß es in einem Statement, das die Berliner Informationsstelle Kurdistan nach der Verhängung des Todesurteils "gegen den Führer unserer Nation, den Verteidiger der Menschheit und des Friedens, Genossen Abdullah Öcalan" verbreitete. "Sowohl in der Heimat als auch außerhalb Kurdistans" werde "unser Volk" seine Reaktionen "massenhaft in einem demokratisch-politischen Rahmen zum Ausdruck bringen".

Was genau unter diesem Widerstand im "demokratisch-politischen Rahmen" zu verstehen ist, läßt sich bislang schwer definieren. Auch zwei Wochen nach dem Urteil ist eine einheitliche Strategie der PKK und der ihnen nahestehenden Kurdinnen und Kurden hierzulande nicht erkennbar. Die von deutschen Sicherheitsbehörden erwarteten militanten Proteste blieben jedenfalls weitgehend aus. Nur vereinzelt kam es zu Brandanschlägen, einige türkische Geschäfte und Cafés wurden demoliert. Mit den Ereignissen vom Frühjahr will Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) die Aktionen nicht vergleichen, zumal die jetzigen Angriffe "wohl keine koordinierten Aktionen" gewesen seien.

Widerspruch auch auf der anderen Seite: Die Europazentrale der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK), die PKK-Europavertretung, hat sich von den Brandanschlägen distanziert. Diese Aktionen seien "Provokationen, mit denen unser unschuldiges Volk und dessen berechtigte Forderungen in Mißkredit gebracht werden sollen". Die PKK sei noch in einem Nachdenkprozeß: "Unsere Partei wird nun diese neue Entwicklung nach allen Seiten beleuchten und diskutieren und letztendlich ihre Strategie und Vorgehensweise binnen kürzester Zeit umsetzen."

Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) vermutet trotzdem PKK-Mitglieder hinter den Anschlägen. Deren Europa-Führung habe, meint er, die mittlere Organisationsebene nicht mehr im Griff: "Es hat sich sehr viel Druck im Kessel aufgestaut." In einer Lagebeurteilung für die Bundesregierung spricht denn auch das Bundeskriminalamt von "schwerster, emotional gesteuerter Gewalt". Sogar Geiselnahmen zur Freilassung Öcalans will die Wiesbadener Behörde nicht ausschließen. Das widerspräche jedoch allem, was der PKK-Chef selbst von sich gab: "Nehmt einen friedlichen Weg, sonst wird es mir schlecht ergehen", ließ er seiner Fan-Gemeinde nach Angaben der türkischen Tageszeitung Sabah mitteilen.

Währenddessen ist die deutsche Justiz noch mit den Aufräumarbeiten nach den kurdischen Protestaktionen vom Februar beschäftigt. In der vergangenen Woche etwa fällte das Landgericht Berlin ein Urteil im Zusammenhang mit der versuchten Besetzung des israelischen Generalkonsulats vor viereinhalb Monaten. Ein 31jähriger Kurde wurde zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen schweren Landfriedensbruchs, Widerstands bei der Festnahme und gefährlicher Körperverletzung verknackt. Als strafmildernd bewertete das Gericht, daß er "in der Heimat Übles erlebt" habe. Eine sachverständige Psychiaterin hatte bei ihm Symptome festgestellt, "wie sie die Wissenschaft an Häftlingen in Konzentrationslagern ermittelt hat".

Immer noch nicht geklärt sind die Umstände, die zum Tod von drei Kurden und einer Kurdin während der versuchten Besetzung des Konsulats in Berlin geführt haben. Der Untersuchungsausschuß des Abgeordnetenhauses hat seine letzte Sitzung vor der Sommerpause abgesagt, da drei der vier geladenen Zeugen verhindert waren oder nicht aussagen wollten. Nun findet die nächste Sitzung erst am 3. September statt. Die Zeit wird also knapp. Schließlich will der Ausschuß bis zu den Abgeordnetenhauswahlen am 10. Oktober einen Zwischenbericht vorlegen. Doch schon jetzt ist klar: Das Resümee für den Berliner Sicherheitsapparat dürfte nicht gerade günstig ausfallen. "Für uns stellt sich die Frage, wer hat eigentlich nicht versagt", faßte der Ausschußvorsitzende Wolfgang Wieland (Grüne) die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme zusammen.

Kritik am polizeilichen Umgang mit den kurdischen Protesten vom Februar gibt es auch in Düsseldorf. Dort war das griechische Generalkonsulat besetzt worden. In einer jetzt bekanntgewordenen internen Einsatzbewertung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums kommen Experten aus der Abteilung für "Gefahrenabwehr und Strafverfolgung" zu dem Schluß, daß das Handeln der Polizisten "in offenkundigem Widerspruch zu den landesweit geltenden Einsatzgrundsätzen" gestanden habe. Das Einsatzkonzept sei "einseitig auf Gefahrenabwehr und Risikovermeidung" ausgerichtet gewesen, so die Kritik aus dem Ministerium. Alternativen seien "nicht sorgfältig genug geprüft" worden. Die Polizeiführung vor Ort hatte sich für eine Deeskalationsstrategie gegenüber den Demonstranten entschieden. Die Besetzung konnte denn auch nach rund 17 Stunden ohne Tote beendet werden. Der damalige Einsatzleiter wurde inzwischen zu Nachschulungen geschickt.

Allen Hoffnungen auf eine Aufhebung des PKK-Verbots, wie es von Teilen der Grünen-Fraktion und der PDS gefordert wird, hat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, der DDR-Bürgerrechtler Gerd Poppe, derweil eine eindeutige Absage erteilt. Die PKK sei schließlich "eine terroristische Organisation", erklärte Poppe. "Wir lehnen die PKK ab und betrachten sie auch nicht als Vertreter der kurdischen Interessen." Als solchen sieht sich Poppe lieber selbst und fordert von der türkischen Regierung die Anerkennung der kurdischen "kulturellen Identität". Darüber hinaus müsse man in Ankara dafür sorgen, "daß die Menschenrechtsverletzungen beendet werden, insbesondere jene, die das türkische Militär in den kurdischen Gebieten begeht".

Dennoch: Von einem generellen Abschiebestopp in die Türkei will der Berufsmenschenrechtler nichts wissen. Er bezweifele zwar, daß es die von den Gerichten angenommene "innerstaatliche Fluchtmöglichkeit" gebe, plädiere aber trotzdem statt für einen Abschiebestopp lieber für eine "sehr genaue Prüfung des Einzelfalls".

Erst vergangenen Donnerstag hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg in 15 Fällen die Türkei wegen der Folterung und dem Tod zweier Kurden sowie der Verletzung der Meinungsfreiheit von Journalisten zu Entschädigungszahlungen von umgerechnet mehreren Hunderttausend Mark verurteilt. Alle Fälle standen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der PKK durch die türkischen Sicherheitskräfte.

Pascal Beucker