Süddeutsche Zeitung 17.7.99

Ein Dayton für Cypern

25 Jahre nach der türkischen Invasion

Bosnien könnte ein Modell für die Lösung des Konflikts auf der geteilten Mittelmeer-Insel sein

Von Wolfgang Koydl

Istanbul, 16. Juli - Die Angreifer kamen im Morgengrauen. Sie landeten an einer Stelle, wo man sie am wenigsten erwartet hätte. Nicht in der weiten Bucht von Famagusta gingen die türkischen Interventionstruppen vor 25 Jahren an Land, sondern im Norden von Cypern, westlich der Hafenstadt Kyrenia. Rasch stießen sie auf den Flughafen der Hauptstadt Nicosia vor; wenige Wochen später eroberten die Türken mehr als ein Drittel der Insel. Ankara hatte sich schützend vor seine Landsleute gestellt, nachdem die griechische Obristen-Junta in Athen Cyperns Staatspräsidenten Makarios gestürzt und einen Zeitungsverleger und Gigolo namens Nikos Sampson als Marionette eingesetzt hatte.

Seitdem trennen Stacheldraht, Minen und Barrikaden Türken und Griechen voneinander. 25 Jahre sind seit dem türkischen Einmarsch auf der Mittelmeerinsel vergangen, doch eine Lösung des Konfliktes ist keinen Millimeter näher gerückt. Geblieben sind die Hauptakteure von damals: Im Süden von Cypern regiert Staatspräsident Glafkos Klerides, im Norden der Führer der türkischen Volksgruppe, Rauf Denktasch. Beide hatten schon im Juli 1974 an den Schaltstellen gesessen. Und in Ankara regierte damals wie heute Ministerpräsident Bülent Ecevit, der sich seither mit dem Ehrentitel "Kibris Fatihi", Eroberer Cyperns, schmückt. Die Hartnäckigkeit und Sturheit der beiden Seiten hat der lieblichen "Insel der Aphrodite" den häßlichen Beinamen eines "Friedhofs der Diplomaten" eingetragen. Nirgendwo sonst sind so viele Vermittler gescheitert wie hier; als vorerst letzter in einer langen Reihe von potentiellen Friedensstiftern erlitt Richard Holbrooke Schiffbruch, der als Architekt des Dayton-Abkommens hochgelobte amerikanische Bosnien-Unterhändler.

Doch zum Silber-Jubiläum von griechischem Putsch, türkischem Einmarsch und sauberer Teilung scheint die Staatengemeinschaft mit den USA an der Spitze das lästige Problem erstmals ernsthaft anpacken zu wollen. Gestärkt durch den erfolgreichen Abschluß der Kosovo-Operation hatten sich die G-8-Staaten (USA, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan und Rußland) vor wenigen Wochen erstmals der Cypern-Frage angenommen und in deutlichen Worten vorgeschlagen, daß sich Klerides und Denktasch ohne Vorbedingungen im September bei UN-Generalsekretär Kofi Annan treffen sollten. Seitdem sind die Insel- und die Festlands-Türken in der Klemme, denn Denktasch lehnt jeden Kontakt zu den Griechen im Süden solange ab, wie sie nicht die von ihm 1983 ausgerufene "Türkische Republik Nord-Cypern" anerkennen. Denktasch erhob das Problem wieder einmal zu einer "Sache der türkischen Ehre", und sein Wort hat auch in Ankara Gewicht: Der studierte Rechtsanwalt von der Insel genießt auf dem Festland mehr Sympathien und Popularität als die meisten türkischen Politiker.

Den Griechen andererseits droht die Zeit davonzulaufen. Die griechisch-cyprische Republik Cypern ist einer der Kandidaten für eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union. Ginge es nur um die wirtschaftlichen Faktoren, dann bräuchte sich der wohlhabende Inselstaat keine Sorgen zu machen. Anders als die anderen Beitrittskandidaten aus dem ehemaligen Ostblock haben die Cyprer nie unter den Auswirkungen sozialistischer Planwirtschaft gelitten, sondern stets erfolgreich kapitalistisch gewirtschaftet. Nicht wenige EU-Mitglieder hingegen möchten keinen geteilten Staat mit unvorhersehbaren politischen Problemen in ihren Reihen sehen.

Brüssel lockt deshalb auch die Insel-Türken mit der Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft - im Rahmen einer gemeinsamen Republik; doch Rauf Denktasch, der sture "Mister No" des östlichen Mittelmeers, lehnt auch eine Teilnahme an diesen Gesprächen ab. Diesmal sind es die Landsleute vom Festland, die ihn bremsen. Solange die türkischen Europa-Ambitionen auf der Stelle treten, so lautet Ankaras Argumentation, werde man auch den Cyprern Knüppel zwischen die Beine werfen.

Andererseits hat Griechenland knurrend damit gedroht, die Aufnahme der Ungarn, Tschechen oder Slowenen mit einem Veto zu Fall zu bringen, falls die Union der türkischen Erpressung nachgäbe.

Die meisten Türken sind sich mit ihrer Regierung in der Einschätzung einig, daß das Cypern-Problem mit der Teilung der Insel nicht begonnen habe, sondern gelöst worden sei. In gewisser Weise haben sie damit recht. Denn seit der säuberlichen ethnischen Aufteilung in griechische und türkische Siedlungsgebiete herrscht weitgehend Frieden im Land, und vor allem die Insel-Türken konnten sich zum ersten Mal sicher und frei von Schikanen und Verfolgungen fühlen. Zugespitzt hatte es die türkische Tageszeitung Hürriyet unlängst so formuliert: Was der Westen jetzt im Kosovo erreicht habe, nämlich die Trennung zweier Völker, das habe die Türkei vor 25 Jahren in Cypern geschafft.

Für eine Lösung des Problems - falls sie tatsächlich zustande kommt - würde jedoch eher Bosnien als Vorbild taugen: Eine lockere Konföderation mit einer schwachen Zentralregierung, der zwei starke, mit umfassenden Vollmachten ausgestattete Volksgruppen gegenüberstehen. Dies käme einer Anerkennung der vor 25 Jahren geschaffenen Realitäten sehr nahe. Erst dann könnten Griechen und Türken auf der Insel darangehen, Gespräch für Gespräch, Handschlag für Handschlag, wieder das Vertrauen aufzubauen, das im vergangenen Vierteljahrhundert verlorenging.

Die junge Generation auf beiden Seiten jedenfalls kennt sich nicht mehr. Man spricht nicht mehr die Sprache des anderen, kennt nicht mehr deren Gebräuche, sondern nur mehr Haß und Vorurteile. An die alten Zeiten können sich nur noch Leute wie Rauf Denktasch und Glafkos Klerides erinnern. Vielleicht wird es erst dann eine Lösung geben, wenn sie abgetreten sind.