Süddeutsche Zeitung 17.7.99

Das Weltgericht in der Verfahrensmühle

Ein Jahr nach dem Votum für ein internationales Völkertribunal haben erst drei kleine Staaten das Statut ratifiziert

Es war ein Kampf mit verblüffenden Fronten. Auf der einen Seite standen Deutschland, die meisten anderen EU-Staaten und Dutzende Länder aus allen Kontinenten. Auf der anderen die USA mit einem Trupp ungewohnter Streitgenossen: China etwa, Libyen oder der Irak. Wochenlang rangen die Delegationen aus 160 Staaten in Rom um das Statut für ein künftiges Weltstrafgericht. Am Ende erlebten die USA eine ihrer schlimmsten Niederlagen auf internationalem Parkett. 120 Staaten stimmten vor einem Jahr, am 17. Juli 1998, für ein starkes Völkertribunal, nur sieben waren dagegen. Der künftige Gerichtshof soll schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord ahnden, wenn die nationale Justiz betroffener Staaten dazu nicht willens oder in der Lage ist. Ad-hoc-Gerichte der UN, wie das Jugoslawien- und das Ruanda-Tribunal, würden damit überflüssig.

Da viele mit einem Scheitern der Konferenz gerechnet hatten, war der Jubel bei den Befürwortern des ICC (International Criminal Court) gewaltig. Der Bürgerrechtler William Pace, Koordinator einer Koalition von 800 Nichtregierungs-Organisationen, sprach vom "größten Sieg des Friedens in den letzten 100 Jahren". Die Vereinigten Staaten dagegen fühlten sich düpiert und drohten unverhohlen mit Obstruktion. Sie wollen vermeiden, daß ihre Bürger, etwa US-Soldaten bei Auslandseinsätzen, von einem internationalen Gericht belangt werden, das womöglich auch noch zu Propagandazwecken mißbraucht werden könnte. Am klarsten drückte sich Jesse Helms, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des US-Senats aus: Das Weltstrafgericht sei "ein Monster - und es ist unsere Pflicht, das Monster zu erschlagen, bevor es gedeiht und uns heimsucht".

Seitdem haben sich die Gemüter abgekühlt. Der Weltstrafgerichtshof gerät in die Mühlen der nationalen Ratifikationsverfahren, und seine Gegner hoffen, er möge darin zerrieben werden. 60 Länder müssen das Statut ratifizieren, damit der ICC zu arbeiten beginnen kann. Bisher sind es gerade mal drei: Der Senegal, San Marino und der Inselstaat Trinidad und Tobago. Allerdings haben bereits 83 Staaten das Statut unterzeichnet und damit förmlich angekündigt, dem Gerichtshof beizutreten. Die EU-Staaten haben sich zudem untereinander verpflichtet, das Ratifikationsverfahren bis Ende des kommenden Jahres abzuschließen.

Den Anfang dürfte in diesem Herbst Italien machen, das gerne eine Vorreiterrolle bei der Errichtung des ICC für sich beansprucht. Deutschland dagegen, das bei der Konferenz vor einem Jahr mit an der Spitze der Gerichtshoffreunde kämpfte, ist zurückgefallen. Im Bundesjustizministerium brüten die Juristen über zahlreiche notwendige Gesetzesänderungen. Die schwierigste Hürde: Artikel 16 II des Grundgesetzes, der einer Auslieferung Deutscher an den ICC entgegenstehen würde. Für einen Beitritt zu dem Gericht ist daher eine Verfassungsänderung nötig.

Auf internationaler Ebene wird derzeit in New York an den Ausführungsvorschriften für den ICC gearbeitet. Die Amerikaner machen dabei durchaus mit, versuchen aber, Regelungen durchzusetzen, die den Gerichtshof an die kurze Leine nehmen. "Nun kommt es darauf an, ob die Allianz von Rom hält, oder ob die Staaten sagen: Die Beziehungen zu den USA sind uns wichtiger, als dieses visionäre Projekt", meint ein Diplomat. Der Heidelberger Völkerrechtler Andreas Zimmermann ist eher optimistisch. Seien erst einmal alle EU-Staaten dem Völkertribunal beigetreten, dann dürften etliche andere Staaten folgen. Der Gerichtshof würde Wirklichkeit. Und irgendwann könnten dann vielleicht auch die Amerikaner umschwenken. "Schließlich haben sie auch die Völkermordkonvention 40 Jahre nach ihrer Verabschiedung doch noch ratifiziert."
Stefan Ulrich