Frankfurter Neue Presse, 17.7.99

"Ich will, daß Öcalan gehängt wird"

Von Claudia Steiner

Istanbul. Nach dem Prozeß gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan hat die Türkei nach Ansicht von Beobachtern nun eine historische Chance zur Entschärfung des Kurdenkonflikts. Noch ist jedoch nicht klar, ob Ankara diese Chance nutzen wird. Während in der türkischen Öffentlichkeit darüber diskutiert wird, ob an dem wegen Hochverrats zum Tode verurteilten Öcalan die Strafe vollzogen werden soll oder nicht, scheint sich für die Menschen im Südosten des Landes nichts zu ändern.

Das türkische Parlament hat vor wenigen Tagen den Ausnahmezustand in den Provinzen Diyarbakir, Hakkari, Van, Tunceli, Sirnak und Sirt erneut um weitere vier Monate verlängert. Er war vor zwölf Jahren in dem vor allem von Kurden bewohnten Südosten der Türkei verhängt worden.

"Ich wurde 1971 geboren, und seit ich mich erinnern kann, habe ich noch nie ein normales Regime erlebt", sagt Osman Baydemir, Anwalt und Mitglied des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) in Diyarbakir. "Das System macht aus den Menschen entweder Kollaborateure oder Rebellen." Eine Verlängerung des Ausnahmezustandes könne den Frieden nicht sichern, dabei wünschten sich die Menschen diesen Frieden so sehr, meint der Anwalt.

Hunderte von Dörfern sind in den vergangenen Jahren geräumt oder zerstört worden. Aufgrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation und aus Angst vor Übergriffen sind Tausende von Kurden nach Istanbul, Ankara oder Izmir geflohen. Gegen Gesetzesverordnungen, die während des Ausnahmezustandes erlassen werden, kann nicht das Oberste Gericht angerufen werden.

Mit diesen Maßnahmen will die Türkei die Guerilla-Organisation PKK bekämpfen. Der Krieg gegen die PKK hat nach türkischen Angaben bisher 80 Milliarden Dollar gekostet. In dem seit 15 Jahren herrschendem Krieg zwischen der PKK und dem Militär sind nach neuesten Angaben knapp 32 000 Menschen getötet worden, davon etwa 4850 Soldaten und Sicherheitskräfte sowie mehr als 4650 Zivilisten.

Viele türkische Familien haben in dem Krieg Freunde oder Angehörige verloren und fordern Gerechtigkeit. "Natürlich will ich, daß Öcalan gehängt wird", sagt ein Mann aus Istanbul bestimmt. Ein tausendfacher Mörder dürfe nicht mit einer Haftstrafe davonkommen. Für viele Türken hat "Apo" (Onkel), wie Öcalan häufig genannt wird, seine Menschenrechte durch seine Terroraktionen schlicht verspielt.

Öcalan wartet unterdessen auf der Gefängnisinsel Imrali auf sein weiteres Schicksal. Das Ende Juni gefällte Urteil muß nun vom Kassationshof geprüft werden. Sollte es von dieser letzten Instanz bestätigt werden, entscheidet das Parlament über eine Hinrichtung. Sollte der Richterspruch verworfen werden, muß der Fall Öcalan erneut verhandelt werden.

Unterdessen häufen sich in der Türkei die Anschläge. Nach dem Todesurteil kam es laut Behördenangaben zu 107 Gewalttaten von militanten Kurden. Dabei seien unter anderem neun Zivilisten und 24 Soldaten sowie zwei Polizisten getötet worden. Außerdem seien in den vergangenen zweieinhalb Wochen 43 PKK-Rebellen erschossen worden.

Die PKK bekannte sich bisher nicht zu den Anschlägen, sondern rief ihre Anhänger mehrfach zu Besonnenheit auf. Auch der inhaftierte PKK-Chef hat die Anschläge wiederholt verurteilt. Beobachter spekulieren inzwischen, ob die Taten vielleicht gar nicht auf das Konto der PKK gehen, sondern von Einzeltätern oder anderen Terrorgruppen verübt wurden.