Berliner Zeitung, 17.7.99

Fischer will in Ankara Vertrauen aufbauen
Außenminister dämpft Erwartung im Fall Öcalan

Von Ralf Beste BONN, 16. Juli. Außenminister Joschka Fischer (Bündnis90/Die Grünen) hat Erwartungen gedämpft, er werde sich bei seinem Türkei-Besuch kommende Woche besonders auf die Aussetzung der Todesstrafe für den PKK-Führer Abdullah Öcalan konzentrieren. "Ich besuche die Türkei, um eine Reihe von Problemen zu erörtern und zu versuchen, sie in konstruktivem Geiste einer Lösung ein Stück weit zuzuführen. Aber nicht, um in Ankara deutsche Innenpolitik zu machen", sagte er im Interview mit der "Berliner Zeitung". Bei dem Besuch gehe es "darum, Vertrauen aufzubauen".

Auf die Frage, ob er die drohende Hinrichtung Öcalans ansprechen werde, sagte Fischer: "Alle uns betreffenden Fragen werden erörtert. Ich werde hier aber keine öffentlichen Vorankündigungen machen." Der deutsche Außenminister betonte zugleich, daß es in der Frage nicht "an Offenheit mangelt. Die Ablehnung der Todesstrafe ist für die EU keine Einzel-, sondern eine Grundsatzfrage, das sagen wir genauso Madeleine Albright wie Fidel Castro." Fischer fliegt am Mittwoch nach Istanbul und Ankara, wo er Staatspräsident Süleyman Demirel, Ministerpräsident Bülent Ecevit und Außenminister Ismail Cem trifft. Auch Treffen mit Menschenrechtsorganisationen sind geplant.

Die rot-grüne Bundesregierung setzt sich innerhalb der EU dafür ein, die Türkei zum Kandidaten für den Beitritt zu machen. Fischer äußerte sich vorsichtig zu den Chancen, dieses Ziel beim EU-Gipfel im Dezember zu erreichen: "Das hängt in einer Gemeinschaft von 15 von vielen unterschiedlichen Interessen ab. Die Türkei ist für Europa ein wichtiger, gleichwohl kein einfacher Partner", sagte er.

"Mindestens eine Generation"

Der Beitritt von Balkanstaaten wie Mazedonien, Serbien und Albanien zur EU wird nach Einschätzung Fischers noch "mindestens eine Generation dauern. Eine Infrastruktur, die zur EU paßt, baut sich nicht par ordre de moufti innerhalb von fünf Jahren." Die Beitrittsperspektive für die Staaten sei dennoch "insofern konkret, als nach dem Krieg klar ist, daß alle dasselbe wollen: Frieden und Sicherheit, garantiert durch die Nato, und wirtschaftliche Entwicklung, garantiert durch die Europäische Union".

Die Botschaften der Bundesrepublik sollen sich nach den Vorstellungen Fischers in Zukunft stärker um den Kontakt mit Nichtregierungsorganisationen der betreffenden Länder bemühen. Der Grünen-Politiker sprach von einer "neuen Dimension der Außenpolitik". Soziale Probleme, Menschenrechtsfragen, Bildungs- und Umweltprobleme spielten eine immer größere Rolle. "Die Gesellschaften werden wichtiger, dem muß die Außenpolitik Rechnung tragen", sagte er.