Rhein-Neckar-Zeitung, 15.7.

Fischer bei erstem Türkei-Besuch vor schwieriger Mission

Von Gerd Roth, dpa Bonn (dpa) - Mit seinem ersten Besuch der Türkei steht Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) in der kommenden Woche vor einer äußerst schwierigen Mission. Das Todesurteil gegen PKK- Führer Abdullah Öcalan, anhaltende Menschenrechtsverletzungen und nur mäßig ausgeprägte demokratische Strukturen in der Türkei bestimmen die Ausgangslage der zweitägigen Reise nach Istanbul und Ankara. Gleichzeitig werden deutsche Versuche, die Türkei enger an die Europäische Union heranzuführen, von Staaten der Gemeinschaft blockiert. Die Bundesregierung setzt in jüngster Zeit verstärkt auf eine Öffnung der EU in Richtung Bosporus. Über Jahre waren die traditionell guten deutsch-türkischen Beziehungen verstimmt. Die Regierung von Alt-Kanzler Helmut Kohl (CDU) galt den in der Türkei Herrschenden lange als Blockierer der türkischen Aufnahmewünsche. Auf dem Höhepunkt des Streits wurde wegen der geplanten EU-Osterweiterung gar das später relativierte Wort vom «Lebensraum» laut, der «wie früher» (in der Nazi-Zeit) von deutscher Seite angestrebt werde. Die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schöder (SPD) mußte zunächst die Aufregungen um den Verzicht einer Auslieferung des zwischenzeitlich in Italien inhaftierten Öcalan überstehen. Nach dem Ende der Verstimmungen versucht die Bundesregierung nun, für den von der Türkei seit Jahrzehnten heiß ersehnten Weg in die EU Perspektiven zu schaffen. Doch nicht nur Griechenland macht der als türkeifreundlichstes EU-Land geltenden Bundesrepublik einen Strich durch die Rechnung. Auch Schweden und weitere Länder werden zu den Gegnern einer Aufnahme der Türkei in die Union gezählt. Deutschland hat unter anderem wegen der rund 2,1 Millionen in Deutschland lebenden Türken ein starkes Interesse an einer engen Einbindung der Türkei. Zudem gilt es, die von vielen Seiten befürchteten Ausschreitungen nach einer möglichen Vollstreckung des Todesurteils gegen Öcalan durch eine Begnadigung zu verhindern. Die Aussetzung des Todesurteils sowie Achtung der Menschenrechte und demokratische Reformen sind aus deutscher Sicht selbstverständlicher Preis, den die Türkei für eine offene Tür zur EU zu zahlen hat. Den jüngsten Vorstoß machte Außenamts-Staatsminister Günter Verheugen. Er rechnet damit, daß die Türkei noch in diesem Jahr den Status eines EU-Beitrittskandidaten bekommt. Einen neuen Schritt in diese Richtung soll der für Herbst geplante EU-Gipfel in Helsinki bringen. Die auch von Spanien gewünschte weitere Annäherung der seit 36 Jahren mit der EU assoziierten Türkei scheiterte zuletzt beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Köln. Einen neuen Schub in Richtung Europa kann sich die türkische Regierung unter Ministerpräsident Bülent Ecevit durch die anstehende Ernennung Verheugens zum EU-Kommissar für die Erweiterung der Gemeinschaft erhoffen. Doch dürfte Verheugen seine jetzigen Ziele im EU-Amt kaum weiter offen verfolgen. Die von einem EU-Kommissar verlangte Neutralität scheint den pro-türkischen deutschen Interessen entgegenzustehen. In Sachen EU-Beitritt der Türkei will sich Verheugen jedenfalls nicht mehr aus deutschem Blickwinkel äußern. Im deutschen Regierungslager gilt es dennoch als dringend notwendig, den Türken eine Perspektive zu bieten. Nur so könnten auch Schritte des Landes in die gewünschte Richtung erwartet werden. Es gelte auch, den reformbereiten Kräften in der Türkei den Rücken zu stärken. Auf dem Besuchsprogramm Fischers bei seiner ersten ministeriellen Reise an den Bosporus stehen folglich neben Gesprächen mit den Regierungsspitzen auch Treffen mit Menschenrechtsgruppen. Zusätzliche Brisanz erhält die Fischer-Reise durch den jüngsten im Auswärtigen Amt erarbeiteten Lagebericht zur Türkei. Er wird Grundlage künftiger Entscheidungen über Asylbewerbungen und Abschiebungen sein. Er soll laut AA «der oft heftigen Kritik an der Handhabung dieses Instruments durch die frühere Regierung Rechnung tragen». Laut Ludger Volmer, Grünen-Staatsminister im Außenministerium, hält der Bericht unter anderem «Willkür oder Folter» gegen Kurden in der Türkei fest.