taz Berlin, 15.7.1999 Seite 19

Innensenator kurz vor Fehlentscheidung

Ein Protokoll der Innenverwaltung belegt, daß CDU-Innensenator Werthebach den Trauermarsch der Kurden im Februar verbieten wollte. Polizei und Verfassungsschutz sahen durch das Verbot die Sicherheit der Stadt gefährdet

In Sachen Kurdenproteste hatte die Innenverwaltung im Februar offenbar große Probleme mit einer richtigen Einschätzung der Sicherheitslage. Nicht nur deshalb, weil am Morgen des 17. Februar - an dem Tag, an dem Kurden in das israelische Konsulat eindrangen - kein V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes an Ort und Stelle war (siehe unten).

Wie aus einem Protokoll einer Lagebesprechung der Führungsspitze in der Innenverwaltung vom 23. Februar, das der taz vorliegt, hervorgeht, wollte Innensenator Eckart Werthebach (CDU) den angemeldeten Trauermarsch der KurdInnen für ihre Landsleute wenige Tage nach den tödlichen Schüssen am israelischen Generalkonsulat untersagen.

Diese politische Fehlentscheidung hätte weitere Auseinandersetzungen in der Stadt provozieren können. Nicht einmal das Landesamt für Verfassungsschutz wollte daraufhin mehr die Sicherheit in der Stadt gewährleistet sehen.

In dem Gesprächsprotokoll heißt es seitens des Senators: "Versammlung muß verboten werden." Der Bevölkerung sei vor dem Hintergrund der Gewalttaten der PKK nicht zu vermitteln, daß der Trauermarsch stattfinde. Es sei ja "doch wohl eine Veranstaltung der PKK!", so gibt das Protokoll an anderer Stelle wieder.

Dieser Einschätzung des Innensenators schließt sich auch Polizeipräsident Hagen Saberschinsky laut Protokoll an.

Nur der Landesschutzpolizeidirektor Gernot Piestert gibt zu bedenken, daß man es bei dem Trauermarsch auch angesichts der Anmelder (der PDS-Abgeordnete Giasettin Sayan) ja nicht mit einer reinen PKK-Veranstaltung zu tun haben könne.

Bei einem Verbot, so ist im Protokoll von seiten des Landesschutzpolizeidirektors vermerkt, gibt es "keine Garantie". Für ein Worst-case-Szenario skizziert Piestert kräfteaufwendige Kontrollstellen in der Stadt und an den Stadtgrenzen, viele Angriffsziele und befürchtete Blockaden durch die KurdInnen sowie die Notwendigkeit von zahlreichen "Gewahrsmaßnahmen".

Angesichts dieser Aussichten rät auch der Polizeipräsident zu einem "Abwägen der Belastung der Bevölkerung" - diese könne durch polizeiliche Maßnahmen "über nicht nur einen kurzen Zeitraum" stark beeinträchtigt werden.

Auch an diesem Punkt zeigt sich Eckart Werthebach offenbar noch nicht überzeugt. Laut Protokoll befürchtet der Innensenator eine "Kapitulationserklärung des Rechtsstaates".

Daraufhin gibt der Chef des Landesverfassungsschutzes Eduard Vermander noch einmal zu Protokoll: "Die Aktionen im Falle eines Verbotes sind wenig vorhersehbar!"

Schlußendlich gab offenbar eine nüchterne Kalkulation der Einsatzkräfte den Ausschlag: Bei einer Demonstration sah man insgesamt 3.000 Beamte für notwendig an, bei einem Verbot hätte man 1.000 weitere Beamte aus anderen Ländern hinzuziehen müssen.

Noch am selben Tag erklärt so Innensenator Eckart Werthebach per Pressemitteilung: "Innensenator sieht im ,Trauerzug' letzte Chance zur Umkehr. Man werde die angemeldete Versammlung nicht verbieten, "aber strenge Sicherheitsvorkehrungen zur Gewährleistung eines friedlichen Verlaufs des Aufzugs" treffen.

Während des am 24. Februar folgenden Trauermarschs, bei dem etwa zehntausend Teilnehmer die Särge von drei erschossenen Kurden durch die Innenstadt begleiten, kommt es wie erwartet zu keinen Auseinandersetzungen.

Barbara Junge