Stuttgarter Nachrichten, 10.7.

Suizidgefährdetem Kurden droht Abschiebung

Petitionsausschuß lehnt Bleiberecht ab - Regierungspräsidium schaltet Arzt ein

Magstadt, Kreis Böblingen - Anna-Lena Frey ist entsetzt. Der Petitionsausschuß des Landtags hat das Bleiberecht aus humanitären Gründen für eine Kurdenfamilie abgelehnt. Die Pfarrerin will weiterkämpfen und schließt ein Kirchenasyl nicht aus.

VON ULRICH HANSELMANN

Das Ehepaar Akseker lebt seit über zehn Jahren in Magstadt. Der staatenlose Vater (29) von fünf Kindern im Alter zwischen 13 und fünf Jahren war nach eigenen Angaben aus der Türkei geflohen, weil er während seines Militärdienstes mißhandelt wurde. Der Grund: Er habe sich geweigert, auf Kurden zu schießen. Akseker desertierte. 1993 kamen drei seiner Geschwister, 15, 16 und 21 Jahre alt, nach Magstadt. Die Eltern waren nach einem Überfall auf ihr Heimatdorf untergetaucht. Bis heute, so die Pfarrerin, gebe es von ihnen kein Lebenszeichen. Ein Bruder sei von türkischen Soldaten erschossen worden, andere Familienmitglieder hätten in Deutschland bereits Asyl erhalten. Für die Aksekers, so Freys Fazit, gäbe es in der Türkei keine Lebensgrundlage mehr.

Am 21. April diesen Jahres aber sollte die Familie nach Istanbul abgeschoben werden. Als die Polizei auftauchte, sprang der 29jährige aus dem Fenster. Er brach sich beide Fersenbeine. Bis gestern war der Mann, dem eine Gehbehinderung bleiben wird, im Krankenhaus. Nach Hause kam er nicht. Laut Frey wurde er wegen anhaltender Suizidgefahr in die Psychiatrische Landesklinik Nordschwarzwald in Hirsau verlegt.

In dieser Woche lehnte der Petitionsausschuß des Landtags mit den Stimmen von CDU und Republikanern den von Frey und anderen Magstadtern gestellten Antrag auf ein Bleiberecht ab. ¸¸Eine Granatensauerei'', sagen dazu unisono die Landtagsabgeordneten Heiderose Berroth (FDP), Stephan Braun (SPD) und Reinhard Hackl (Bündnis 90/Die Grünen) aus dem Kreis Böblingen. Politische Brisanz gewinnt die Sache, weil entschieden wurde, ohne den Berichterstatter im Ausschuß zu hören. Ewald Veigel (FDP), der sich in die Fall am tiefsten eingearbeitet hatte, fehlte wegen Krankheit.

Pfarrerin Frey hat umgehend reagiert und das Regierungspräsidium Stuttgart (RP) gebeten, vor der jetzt wieder drohenden Abschiebung ein amtsärztliches Gutachten zur Suizidgefahr einzuholen. Das wird, versicherte am Freitag RP-Sprecher Wolf-Rüdiger Michel gegenüber unserer Zeitung, geschehen: ¸¸Wir werden die Untersuchung veranlassen und vorher nicht abschieben.''