Berliner Zeitung, 9.7.

Poppe für eine klare EU-Perspektive

Von Sigrid Averesch und Ralf Beste BERLIN/BONN, 8. Juli. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Gerd Poppe , und die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Claudia Roth (beide Bündnis 90/Die Grünen), haben sich dafür ausgesprochen, der Türkei ein "deutliches Signal" für den Beitritt in die Europäische Union (EU) zu geben. Nach Meinung von Roth soll die Türkei als Kandidat gleichberechtigt etwa mit Rumänien und den baltischen Staaten behandelt werden. Sie begrüßte die Bemühungen der Regierung um eine Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen. "Nach der Eiszeit der Ära Kohl-Yilmaz ist jetzt wieder eine Tür aufgemacht worden", sagte sie in Bonn.

Auch Poppe tritt dafür ein, der Türkei langfristig eine Perspektive zum EU-Beitritt zu eröffnen. "Wir müssen der türkischen Regierung eine Motivation in Richtung europäischer Integration anbieten, um politische Veränderungen in der Türkei zu erreichen", sagte Poppe der "Berliner Zeitung". "Je klarer die Perspektive wird, um so stärker werden auch unsere Vorwürfe gegenüber Menschenrechtsverletzungen zur Kenntnis genommen und berücksichtigt werden", begründet der Grünen-Politiker seine Haltung.

Kooperation und Druck

Poppe verwies darauf, daß sich die rot-grüne Regierungskoalition in dieser außenpolitischen Linie deutlich von der vorherigen Bundesregierung unterscheide, die einen EU-Beitritt der Türkei abgelehnt habe. Außenminister Joschka Fischer und Bundeskanzler Gerhard Schröder hatten auf dem Kölner Gipfel angekündigt, das Verhältnis zwischen der Türkei und der EU neu zu ordnen. Zwar werde diese Haltung noch nicht von allen EU-Staaten geteilt, räumte Poppe ein. "Aber die Bundesregierung vertritt diese Auffassung." Ziel müsse es daher sein, durch Kooperationsangebote und politischen Druck einerseits und der Stärkung der türkischen Menschenrechtsorganisationen andererseits Verbesserungen in der Türkei zu erreichen.

Poppe, der Außenminiser Joschka Fischer bei seinem anstehenden Besuch nach Ankara nicht begleiten wird, knüpft allerdings einen möglichen Beitritt des Staates an verschiedene Voraussetzungen. So dürfe das Todesurteil gegen PKK-Führer Abdullah Öcalan nicht vollstreckt werden. "Bei einer Vollstrekkung würde sich die Türkei auf lange Sicht aus allen Möglichkeiten zur Integration herauskatapultieren", betonte Poppe. In einem solchen Fall würde die Türkei von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates supendiert werden. "Dann wäre auch eine mögliche Mitgliedschaft in der EU auf lange Sicht aussichtslos." Er hofft, daß die türkische Regierung "dieses Signal verstanden hat". Darüber hinaus sprach sich der einstige DDR-Bürgerrechtler für einen anderen Umgang der türkischen Regierung mit der kurdischen Minderheit. Poppe forderte die Regierung auf, "so schnell wie möglich einen Dialog mit Vertretern der Kurden aufzunehmen. Das ist das Allerwichtigste. Das hätte schon seit Jahren geschehen müssen", kritisierte er. Die Rechte der Kurden und ihre kulturelle Identität seien anzuerkennen.

Als weitere unabdingbare Voraussetzungen nannte Poppe die Gewährleistung der Menschenrechte in der Türkei und die Entwicklung zum Rechtsstaat. Die türkische Regierung müsse dafür sorgen, "daß die Menschenrechtsverletzungen beendet werden, insbesondere jene, die das türkische Militär in den kurdischen Gebieten begeht." Poppe verwies auf Übergriffe in Polizeihaft, Mißhandlungen und Folter.

Der Politiker kritisierte zugleich die Menschenrechtsverletzungen, die die PKK begangen habe. "Sie ist eine terroristische Organisation. Wir lehnen die PKK ab und betrachten sie auch nicht als Vertreter der kurdischen Interessen", machte der Bündnisgrüne seine Position und die des Auswärtigen Amtes deutlich. Damit distanziert sich Poppe von Teilen seiner Fraktion, die eine Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland fordern.

Einigkeit herrscht unter Grünen-Politikern bei der Beurteilung von Panzerlieferungen an die Türkei. "Das Auswärtige Amt ist entschieden dagegen", betonte Poppe. Diese Frage sei aber innerhalb der Regierung noch nicht geklärt. Bislang hat der Bundessicherheitsrat eine Entscheidung über die Anfrage von Rüstungsfirmen, 200 Transportpanzer in die Türkei zu liefern, vertagt.

Trotz der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei sprach sich Poppe gegen einen Abschiebestopp von Kurden aus, den Menschenrechtsverbände fordern. Zwar bezweifelt er, daß es die von Gerichten angenommene "innerstaatliche Fluchtmöglichkeit" und damit keine Verfolgung von Kurden in Großstädten gibt. Statt eines Abschiebestopps hält er eine "sehr genaue Prüfung jedes Einzelfalls" für nötig.

Roth, die in der Nacht zu Donnerstag von einer Türkei-Reise zurückgekehrt war, berichtete von einer "sehr angespannten, polarisierten" Lage im Lande. Nach Angaben von Regierungsvertretern zeichneten sich "kurz- und mittelfristig" keine Lockerungen der gesetzlich beschränkten Meinungsfreiheit ab. Die kurdische Frage werde weiterhin in Ankara "fast völlig tabuisiert".

Roth warnte wie Poppe die Türkei vor einer Hinrichtung von Öcalan. Die Vollstreckung der Todesstrafe wäre eine "Absage an die Kopenhagener Kriterien" für den EU-Beitritt, die unter anderem die Standards für die Achtung der Menschenrechte setzen. Eine Hinrichtung Öcalans hätte nach Ansicht Roths auch für die innenpolitische Lage des Landes gravierende Konsequenzen. Eine "Zeit der Dunkelheit" würde in der Türkei einziehen, das Land würde politisch "um 15 Jahre zurückgeworfen werden", sagte sie im Hinblick darauf, daß seit dieser Zeit keine Hinrichtungen mehr vollzogen worden seien.

Roth fordert Kurdisch-Unterricht

Roth forderte die Bundesregierung auf, die Öffnung gegenüber der Türkei im innenpolitischen Bereich zu dokumentieren. Dazu gehörten Reformen auch in der deutschen Verwaltung. So sollte die kurdische Sprache neben der Türkischen anerkannt werden. Roth nannte die Aufnahme kurdischer Vornamen in die Namensbücher der Standesämter deutscher Städte sowie muttersprachlichen Schulunterricht auf Kurdisch.