taz, 6.7.1999 Seite 3

Straßburger Gericht soll Öcalan-Verfahren revidieren

Anwälte des PKK-Chefs hoffen auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Die juristischen Hoffnungen Abdullah Öcalans richten sich vor allem auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Auf dem türkischen Rechtsweg hat der PKK-Chef vermutlich wenig zu erwarten. Es gilt als unwahrscheinlich, daß der türkische Kassationshof das Todesurteil aufhebt. Selbst wenn Parlament oder Staatspräsident Demirel anschließend die Hinrichtung verhindern, wäre Öcalan doch politisch ins Abseits gestellt. Ein Erfolg in Straßburg würde dagegen ein neues Gerichtsverfahren mit entsprechender Öffentlichkeit erzwingen.

Schon seit Februar liegt eine Beschwerde von Öcalan vor. Nach seiner Entführung aus Nairobi wandten sich seine AnwältInnen mit drei Punkten an den EGMR. Die Entführung sei rechtswidrig gewesen, ebenso die Isolationshaft des PKK-Führers auf der Gefängnisinsel Imrali. Vor allem aber sei kein faires Gerichtsverfahren zu erwarten. Im letzten Punkt sehen sich die Anwälte durch das Verfahren durchaus bestätigt und erweiterten ihre Beschwerdeschrift entsprechend. "Es gab keine unüberwachten Gespräche mit der Verteidigung, die Anwälte hatten auch viel zu selten Zugang zu Öcalan, und im Prozeß gab es nicht einmal eine ordentliche Beweisaufnahme", betont der Bremer Anwalt Eberhard Schulz, der zu Öcalans Anwaltsteam gehört. Auch wenn Öcalan vor Gericht reden durfte, mache dies allein noch keinen fairen Prozeß.

Daß der Straßburger Gerichtshof die Vorwürfe ernst nimmt, ist an seinen bisherigen Aktivitäten abzulesen. Ende Februar schrieb er an die türkischen Behörden, Anfang März legte er eine einstweilige Anordnung nach. Jeweils wurde die Türkei aufgefordert, ein faires Verfahren sicherzustellen. Kurz vor dem Urteil hat die Türkei mit einem neuen Gesetz immerhin das zuständige Staatssicherheitsgericht umgestaltet. Der Militärrichter im dreiköpfigen Richterkollegium wurde dabei durch einen zivilen Juristen ersetzt.

Die meisten Kritikpunkte der Verteidigung blieben aber bestehen. Deshalb rechnen sich Öcalans Anwälte in Straßburg gute Chancen aus. Gegen die Todesstrafe selbst können sie dabei allerdings nicht vorgehen. Diese Strafart ist nämlich nicht in der Europäischen Menschenrechtskonvention verboten, sondern in einem Zusatzprotokoll, das die Türkei nicht unterzeichnet hat. Käme Straßburg allerdings zum Ergebnis, daß auf Imrali kein fairer Prozeß möglich war, wäre damit auch die Todesstrafe hinfällig.

Normalerweise dauert ein Verfahren in Straßburg vier bis fünf Jahre. Will die Türkei Öcalan noch während des laufenden Verfahrens hängen, müßte der Gerichtshof dies durch eine neue einstweilige Anordnung verhindern. Schließlich macht die Klage über einen unfairen Prozeß nur Sinn, solange Öcalan noch lebt.

An die Entscheidungen des Gerichtshofs ist die Türkei gebunden. Ignoriert ein Staat Urteile oder Anordnungen aus Straßburg, hat der Europarat allerdings nur wenige Druckmittel. Allenfalls kann der renitente Staat aus der inzwischen 41 Mitglieder umfassenden Organisation ausgeschlossen werden.

Christian Rath