Stuttgarter Neue Presse, 26.6.99

Fall Horum: Handelt Behörde eiskalt?

von Michael Hörskens Nidderau. Im Fall Horum macht jetzt auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mobil. Auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz in Hanau griff der DGB-Vorsitzende des Bereichs Main-Kinzig, Ferdinand Hareter, scharf Politiker und Verwaltung an, die für die Abschiebung der Nidderauer Familie verantwortlich sind. "Die handelten eiskalt und rigoros", stellte Hareter fest. "Seitens der Behörde wird hier viel menschliches Leid produziert." Drei Mitglieder der sechsköpfigen kurdischen Familie, Vater Mehmet (54), Mutter Hatice (51) und Sohn Ibrahim (20) sollen bis zum 30. Juni Deutschland verlassen. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Drei Söhne, 22 bis 26 Jahre alt, dürfen bleiben (wie berichteten). "Für diese Ablehnung haben die Behörden sage und schreibe über zehn Jahre gebraucht", wettert Hareter. "Mehmet Horum ist mit seiner Familie schon 1988 nach Deutschland gekommen und hat damals bereits Asyl beantragt." Zehn Jahre lang führten die Horums ein ganz normales Leben. Der Vater arbeitete bei einer Dachdecker-Firma, die Kinder gingen zur Schule, fanden danach ebenfalls einen Job. Doch dann wurde der Vater arbeitslos. "Das ist ein altbewährtes Spiel", sagt Ferdinand Hareter. "Wenn die Leute ihren Lebensunterhalt nicht mehr verdienen selbst können und dem Staat zur Last fallen, weist man sie einfach aus." Was dem DGB-Vorsitzenden am meisten die Zornesröte ins Gesicht treibt, ist die Haltung von Landrat Karl Eyerkaufer. "Der betont doch immer seine Bürgernähe und wirbt damit, daß niemand aufgegeben werde", zürnt Hareter. Doch gerade in diesem brisanten Fall ist der "Landrat für alle Bürger" abgetaucht. "Eyerkaufer hat uns bis heute einen Gesprächstermin zu dem Fall verwehrt", berichtet Ferdinand Hareter. "Und nur er verfügt mit seiner Unterschrift definitiv die Ausweisung der Familie Horum." Entschließt sich der Landrat bis nächste Woche zu diesem Schritt, so wird die Familie endgültig auseinandergerissen. Die Eltern und Sohn Ibrahim dürfen nie mehr nach Deutschland einreisen und den Rest ihrer Familie besuchen. "Was hat dies mit Toleranz und Augenmaß zu tun?", fragt DGB-Vorsitzender Hareter. "Selbst wenn die Verwaltung nach Recht und Gesetz handelt, Spielraum für solch tragische Fälle hat sie immer." Verwunderlich ist für viele auch, daß gerade in diesen Tagen, da in der Türkei gegen Kurdenführer Öcalan verhandelt wird, eine kurdische Familie dorthin abgeschoben wird. "Mich wundert, daß diese Leute in ein Gebiet zurückgeschickt werden, wo täglich Übergriffe der türkischen Miliz stattfinden", erklärt Antonio Gallo, Vorsitzender des Nidderauer Ausländerbeirats. Gallo verwies auf einen aus der Zeitung "Özgur Politika" übersetzten Artikel vom 16. Juni. Darin berichtet das Blatt: "Die 50 Personen, die am 8. Juni bei den Übergriffen der türkischen Soldaten auf Dörfer bei Pazarcik festgenommen wurden, seit acht Tagen ohne Haftverlängerung in der Polizeikommandatur festgehalten werden". Die Zeitung berichtet weiter, daß der stellvertretende Vorsitzende des Menschenrechtsvereins, Nazmi Gür, erklärt hat, daß Familienangehörige sich über das Schicksal der Festgenommenen erkundigen wollten. Die zuständigen Stellen hätten aber keine Informationen herausgegeben. Pazarcik ist die Nachbargemeinde des Dorfes, aus dem die Horums stammen. Verständlich die Angst und die Verzweiflung, die die Familie befallen hat. Verständlich auch der Zorn von Ferdinand Hareter und Antonio Gallo über das Vorgehen der Behörden. Fanny Withofs, Zweite Vorsitzende des Ausländerbeirats Nidderau, äußert dazu: "Erst heißt man die Menschen aus Krisengebieten in Deutschland willkommen, und dann kümmert man sich nicht mehr um sie und interessiert sich keinen Deut um ihre Zukunft." Was den Fall Horum noch so makaber erscheinen läßt ist die Tatsache, daß Mehmet Horum eine neue Arbeitsstelle in Nidderau antreten könnte. Eine Firma für Baudekoration hat ihm definitiv einen Job angeboten. Somit könnte er seine Familie wieder ohne stattliche Unterstützung versorgen. Doch der Familienvater besitzt nach dem abgelehnten Asylantrag keine gültige Arbeitspapiere mehr. Schreiben einer evangelischen Pfarrerfamilie sowie von Nidderaus Bürgermeister Gerhard Schultheiß (SPD) und Erster Stadträtin Monika Rölling (Grüne) bezüglich einer Eingabe für die Familie Horum an Landrat Karl Eyerkaufer blieben bis gestern unbeantwortet, die Pressestelle des Main-Kinzig-Kreises war gestern mittag nicht mehr besetzt. DGB-Vorsitzender Ferdinand Hareter bittet nochmals eindringlich: "Wir appellieren an Landrat Eyerkaufer, im Namen der Menschlichkeit seinen Namen nicht unter das Abschiebepapier zu setzen."