Frankfurter Neue Presse, 25.6.99

Nidderau kämpft für die Familie Horum

Von Michael Hörskens Nidderau. 
Mit letzten Kräften stemmt man sich in Nidderau gegen die Ausweisung der kurdischen Familie Horum. Bis zum 30. Juni sollen Vater Mehmet (54), Mutter Habice (51) und Sohn Ibrahim (20) Deutschland in Richtung Türkei verlassen (wir berichteten am 18. Juni). Ihr Asylantrag war abgelehnt worden. Die Söhne Musa (26, hat einen deutschen Paß) und Salman (22, hat eine Deutsche geheiratet) dürfen bleiben, das Schicksal von Sohn Mehmet (23) und seiner Frau Hatice (21) ist noch nicht entschieden. Die Familie würde nach dieser derzeitigen Lage für immer auseinandergerissen. Antonio Gallo, Erster Vorsitzender des Ausländerbeirates der Gemeinde, hat noch einmal alle Hebel in Bewegung gesetzt. Nachdem er mit Bürgermeister Gerhard Schultheiß (SPD) und Erster Stadträtin Monika Rölling (Grüne) die Situation erörtert hatte, schrieben die beiden Kommunalpolitiker einen Brief an Landrat Karl Eyerkaufer. Darin baten sie das Oberhaupt des Main-Kinzig-Kreises, von dem Beschluß der Ausweisung abzusehen. "Wir haben leider zu spät von dem Fall erfahren", bedauerte Gerhard Schultheiß. Und Monika Schultheiß gestand: "Die rechtlichen Möglichkeiten sind wohl ausgeschöpft. Wir hoffen trotzdem, noch etwas bewirken zu können". Eingeschaltet hat sich auch die evangelische Kirchengemeinde in Windecken. "Die Familie ist in Windecken seit langem bekannt und unter den Bürgerinnen und Bürgern sehr beliebt", schrieben Pfarrerin Margret Ortmann und Pfarrer Volkmar Ortmann an Landrat Eyerkaufer und sie betonten: "Die Rückkehr in die Türkei würde für diese Familie eine Rückkehr ins Nichts bedeuten. Diese Entscheidung halten wir menschlich nicht für gerechtfertigt." Die beiden Geistlichen wiesen Eyerkaufer auch auf eine Unterschriftenliste hin, auf der 110 Mitbürger sich für den Verbleib der Familie Horum, die seit 1988 in Deutschland lebt, in Nidderau ausgesprochen haben. Das Schicksal, das die Horums in der Türkei erwartet, ist mehr als unsicher. "Wir befürchten schlimmes, vor allen in diesen Tagen des Prozesses gegen Kurdenführer Öcalan", sagt Fanny Withofs, Zweite Vorsitzende des Nidderauer Ausländerbeirats, und verweist auf einen Artikel in der Zeitung "Özgur Politika" vom 16. Juni. Darin wurde geschildert, daß in der Nachbargemeinde des Ortes, wo die Horums herstammen, gerade wieder 15 Menschen verhaftet wurden. Die Gründe für den abgelehnten Asylantrag der Familie sieht Antonio Gallo darin, daß Vater Mehmet wegen der schlechten Auftragslage seines früheren Arbeitgebers, einer Dachdeckerfirma, arbeitlos geworden ist. Danach hat quasi ein Teufelskreis begonnen: Asylantrag abgelehnt, die unbefristete Arbeitserlaubnis entzogen bekommen und jetzt die Aufforderung zur Ausreise. Dabei hat man Mehmet Horum inzwischen einen neuen Job angeboten. Die Firma Hotz Baudekoration hat schriftlich bestätigt, daß man ihn gerne einstellen würde, wenn er nur Arbeitspapiere vorlegen könne. Doch die wiederum werden dem Familienvater durch den abgelehnten Asylantrag nun verwehrt. "Ich habe mir doch nie etwas zu Schulden kommen lassen", beteuert Mehmet Horum mit einem tieftraurigen Blick. "Ich habe immer ordentlich meine Miete oder meine Steuern bezahlt, und meine berufstätigen Kinder auch." Auch die Nachbarn lassen über die kurdische Familie nichts kommen. "Die waren immer freundlich und hilfsbereit", heißt es. "Die Horums sind schon so lange hier", sagt Fanny Withofs. "Die haben hier eine neue Heimat gefunden, mit der sie inzwischen fest verwurzelt sind, und auch ihre Freunde." Antonio Gallo ist über die Entwicklung sowohl dieses Falls als auch der allgemeinen Situation in Deutschland tief enttäuscht. "Dies ist nicht mehr das Land, das ich vor 37 Jahren kennenlernte, als ich hierher kam", erklärt der gebürtige Italiener. "Ich war früher so begeistert von Deutschland. Aber jetzt sind die meisten Menschen hier Egoisten geworden. Und vor allem: Die Humanität ist auf der Strecke geblieben", sagt Gallo resigniert.