taz Hamburg, 24.6.1999 Seite 21 
Menschlich konsequent herzlos 
Abschiebe-Debatte in der Bürgerschaft: Grüne schonen Innensenator und streiten sich lieber mit CDU-Stammtischpolitiker

Von Elke Spanner

Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) stellte sich explizit vor die MitarbeiterInnen der Innenbehörde und seine Fraktion sich vor den Innensenator. Und die GAL stritt sich in der gestrigen Aktuellen Stunde zur Hamburger Abschiebepolitik in der Bürgerschaft mit der oppositionellen CDU über die Stammtischparolen des Unions-Abgeordneten Heino Vahldieck, statt den Innensenator wegen der Abschiebung kranker Flüchtlinge in den vergangenen Wochen (tazhamburg berichtete) ins Visier zu nehmen.

Die CDU hatte die Debatte angemeldet. "Abschiebepraxis muß konsequent und menschlich sein", lautete die Parole, für die sie zwei Redner ins Rennen schickte: Vahldieck, um über Flüchtlinge zu wettern, die "mit einem Fuß schon auf der Gangway plötzlich ein ärztliches Attest aus der Tasche ziehen". Und Jürgen Klimke, der Wrocklage vorwarf, seine Behörde sei bei der Abschiebung der Kurdin Nikar Selcuk mit ihren drei Kindern "herzlos vorgegangen". Er vermute, nur "die Spitze des Eisbergs" vor sich zu haben, sagte Klimke zu Wrocklage und resümierte: "Es fehlt eine menschliche Instanz, um Härtefälle zu vermeiden."

Ihm applaudierten auch die Grünen - der Regenbogen-Abgeordneten Susanne Uhl hingegen nicht. Vor wenigen Wochen noch war diese flüchtlingspolitische Sprecherin der GAL. Gestern gab ihre frühere Fraktion sich unbeteiligt, als Uhl der Ausländerbehörde vorwarf, Flüchtlinge "nur noch als Feinde wahrzunehmen, derer man sich schnellstmöglich entledigen muß". Hamburg brauche Strukturen, die einen "humanen Umgang überhaupt erst ermöglichen", sagte sie und forderte die vollständige Dezentralisierung der Ausländerbehörde.

Die neue flüchtlingspolitische Sprecherin der GAL, Christa Goetsch, schalt hingegen nicht den Innensenator, sondern die CDU für ihren "Abschiebewettbewerb". Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Peter Zamory, erinnerte immerhin an den Beschluß des Deutschen Ärztetages, der medizinische Abschiebehilfe verurteilt. Er warnte, daß die von der Ausländerbehörde angeheuerten ÄrztInnen mit standesrechtlichen Verfahren zu rechnen hätten. Und Fraktionschefin Antje Möller sah lediglich "die Gefahr, daß wir eine Abschiebepraxis in Hamburg bekommen, die sich in der Wahl der Mittel vergreift". Das wolle sie verhindern. Wrocklage bedankte sich denn auch für die "gemeinsamen Wege mit der GAL".

Über die einzelnen Fälle wollte sich der Innensenator, der gestern erstmals seit der umstrittenen Abschiebung von Nikar Selcuk vor die Öffentlichkeit trat, nicht äußern. Denn "Einzelschicksale sind mir viel zu wichtig, um sie nebenbei zu erörtern". Lieber betonte er, daß es unter AusländerInnen "mißbräuchliche Verhaltensweisen" gebe, die sich nicht durchsetzen dürften. Damit spielte er auf die Flüchtlinge an, die ein ärztliches Attest über ihre Reiseunfähigkeit vorlegen.

Es war mit Rolf Polle einem SPD-Abgeordneten vorbehalten, die GAL links zu überholen: "Die Krankheitsquote", belehrte er seinen Innensenator, "entspricht der in der deutschen werktätigen Bevölkerung."