Trotz Krankheit Kurdin abgeschoben

Die Ausländerpolitik in Hamburg treibt seltsame Blüten und spaltet die Ärzteschaft

Die Hamburger Ausländerpolitik gerät zum wiederholten Male in die Kritik. Kranke Flüchtlinge sollen trotz eines ärztlichen Attests in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können - so sieht es ein internes Papier der Innenbehörde vor.

Von Karsten Plog, Hamburg

Die Hamburger Ausländerbehörde hat eine psychisch kranke Kurdin und ihre drei Kinder im Alter von fünf, neun und elf Jahren in die Türkei abgeschoben. Es war nicht die erste Abschiebung dieser Art. In jüngerer Zeit waren bereits mehrfach Kranke aus Hamburg in ihre Heimatländer abgeschoben worden. Die Hamburger Grün-Alternative Liste (GAL) protestiert gegen diese Praxis und sieht darin einen Widerspruch zu den Koalitionsvereinbarungen mit der SPD. Auch aus den Reihen der Sozialdemokraten kommt Kritik.

Die abgeschobene Kurdin litt nach ärztlicher Auskunft an ¸¸schweren depressiven Erschöpfungszuständen'', seit ihr Mann vor einem Jahr gestorben war. Sie wurde deshalb ärztlich behandelt und hatte wegen dieser besonderen Umstände eine Duldung bis zum 19. Juli dieses Jahres bekommen. In der vergangenen Woche hat die Ausländerbehörde diese Duldung allerdings widerrufen. In den frühen Morgenstunden klingelten daraufhin sechs Polizisten die Familie aus dem Bett und nahm sie in Abschiebehaft. Am Nachmittag wurde sie in ein Flugzeug nach Istanbul gebracht, nachdem sie zuvor nochmals von einer Amtsärztin untersucht worden war.

Heftige Kritik an der Abschiebungspraxis des Senats wurde danach von den Grünen geübt. ¸¸Ich schäme mich für das Vorgehen der Ausländerbehörde'', sagte die GAL-Fraktionsvorsitzende Antje Möller. In den vergangenen Wochen seien in Hamburg mindestens acht Menschen abgeschoben worden, die zum Reisen zu krank gewesen seien. Die Abgeordnete Susanne Uhl von der ¸¸Regenbogen''-Gruppe, die sich kürzlich von der GAL abgespalten hatte, spricht von ¸¸einer neuen Methode der Ausländerbehörde, um möglichst schnell viele Menschen abzuschieben ohne Rücksicht auf die Menschen selbst''.

Kürzlich war ein internes Papier der Innenbehörde bekanntgeworden, in dem unter anderem überlegt wird, wie Flüchtlinge trotz Vorlage ärztlicher Atteste schneller abgeschoben werden können. Zwar haben Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) und die GAL-Fraktionsvorsitzende Antje Möller versichert, das Papier werde so auf gar keinen Fall in die Praxis umgesetzt, doch spricht einiges dafür, daß dieser Hinweis in der Ausländerbehörde nicht angekommen sein könnte. In dem Papier werden Hamburger Ärzte verdächtigt, Ausländern ¸¸Gefälligkeitsbescheinigungen'' auszustellen, um so deren Abschiebung zu verhindern. Genauere Belege für die Verdächtigungen werden aber nicht angegeben.

Das einzige Indiz, das angeführt wird, ist der Hinweis, entsprechende Bescheinigungen würden von einigen wenigen Ärzten ausgestellt, und diese Bescheinigungen seien ¸¸in diversen Fällen'' inhaltlich gleichlautend. In dem Papier muß allerdings im Widerspruch dazu auch eingeräumt werden: ¸¸Die in vielen Fällen vorgenommene Überprüfung' der vorgelegten Atteste durch die Amtsärzte der bezirklichen Gesundheitsämter führt nur in Ausnahmefällen zu dem tatsächlichen Vollzug der Abschiebungen.'' Anders ausgedrückt: Die Amtsärzte bestätigen in der Regel die Befunde ihrer Kollegen.

Zur Lösung des Problems wird in dem Papier der Hamburger Innenbehörde vorgeschlagen, Ausländer trotz Vorlage eines Attests in Begleitung von Ärzten und Pflegepersonal in ihre Heimat abzuschieben, sofern eine ernst zu nehmende gesundheitliche Gefahr (insbesondere Suizidgefahr) nicht festzustellen ist. Ärzte und Pflegepersonal sollten dann ¸¸auf Honorarbasis'' für diese Aufgaben gewonnen werden. In Einzelfällen ¸¸könnte der begleitende Arzt bereits im Vorfeld der Abschiebungen mit den betroffenen Personen Kontakt aufnehmen, um sich über das Krankheitsbild zu informieren und ggf. notwendige Medikamentenversorgung für die Dauer der Abschiebung zu organisieren.''

Das alles läuft auf eine Beurteilung und Entscheidung im Schnellverfahren hinaus. Scharfer Protest kam nicht nur von den Gruppen, die sich in der Stadt um die Belange der Flüchtlinge kümmern, sondern auch aus der Ärzteschaft. Dabei geriet sogar der Vorstand der Hamburger Ärztekammer in die Kritik, weil die Vorwürfe, welche die Behörden gegen die Mediziner in der Hansestadt erhoben hatten, in der Mai-Ausgabe des Hamburger Ärzteblatts übernommen worden waren; verbunden mit einer Ermahnung an die Ärzteschaft, doch künftig sorgfältigere Atteste auszustellen.

In einem Schreiben des Neurologen und Psychiaters K.E. Weber, Beauftragter der Ärztekammer für die gesundheitlichen Belange der Migrantinnen und Migranten, an seinen Vorstand heißt es: ¸¸Aufgabe des Vorstandes wäre es in meinen Augen vielmehr gewesen, zunächst eine sorgfältige Prüfung der Informationen' und ihres politischen Hintergrundes vorzunehmen und sich schützend vor die von ihr vertretenen Ärzte zu stellen.'' Der Deutsche Ärztetag hatte in der vergangenen Woche eine Erklärung verabschiedet, nach der Abschiebehilfe durch Ärzte in Form von Flugbegleitung ¸¸mit den ethischen Grundsätzen nicht vereinbar'' sind.

Stuttgarter Zeitung, 14.6.99