junge Welt 07.06.1999

Bomben und Abschieben fürs Menschenrecht Pressegespräch zum Hungerstreik in der Kölner Grünen-Geschäftsstelle

Am Samstag luden die Kölner Bündnisgrünen zum Pressegespräch, um zu bejammern, daß sie nicht mehr arbeitsfähig seien. »Heute sind vier Wahlkampfstände ausgefallen. Das ist sehr viel Möglichkeit, die uns da verloren geht, grüne Politik auch zu vertreten. Im Wechsel sind hier 20 Leute gebunden, die sonst aktiv Wahlkampf machen, die Europawahl steht vor der Tür, wir möchten nicht unter fünf Prozent fallen«, beklagt sich die Mitarbeiterin der grünen Europaabgeordneten Edith Müller. Vom eigentlichen Gegenstand des Treffens zunächst kein Wort: Seit Freitag ist die Geschäftsstelle der Kölner Grünen von 20 antirassistischen Aktivisten, darunter 15 Flüchtlingen aus Afrika, Asien und Lateinamerika besetzt. Sie haben dort einen unbefristeten Hungerstreik gegen rassistischen Terror, Krieg und Menschenrechtsverletzungen begonnen. Die Hungerstreikenden sind zumeist in der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrantlnnen und der Kampagne »Kein Mensch ist illegal« organisiert.

Sie verdeutlichten ihr politisches Anliegen: Der Hungerstreik richte sich gegen den gerade in Köln zu Ende gegangenen EU-Gipfel sowie das in zwei Wochen folgende Treffen der G-8-Staaten. »Wir fordern insbesondere von der deutschen rot- grünen Regierung, nicht weiter Fluchtgründe zu schaffen.« Außerdem sei die ununterbrochene Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO und das heuchlerische Gerede von Menschenrechten sofort einzustellen. Das barbarische Schauspiel um die Verurteilung von Abdullah Öcalan soll beendet, Abschiebungen sollen generell unterbunden werden.

Cornelius Yufanyi aus Kamerun: »Es geht uns bei dem Hungerstreik nicht um unsere persönlichen Probleme, wir sprechen hier über Probleme, die alle Flüchtlinge betreffen.« Dem gewaltsamen Tod des sudanesischen Flüchtlings Aamir Mohamed Aqeeb, der am 28. Mai bei seiner Abschiebung ums Leben kam, müßten umgehend politische Konsequenzen folgen.

In der Diskussion um das Thema Öcalan sagte Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion: »Öcalan muß ins Gefängnis, weil er für Verbrechen verantwortlich ist.« Für den Krieg in Kurdistan sei man als Grüne nicht verantwortlich; die Waffenlieferungen Deutschlands an die Türkei seien Sache der Wirtschaft und daher keine Menschenrechtsverletzung. »Sie vergessen, daß die Menschen hierher fliehen, weil deutsche Interessen Kriege schüren und andere Länder ausbeuten«, entgegnet Viraj Mendis, Vorsitzender des Internationalen Menschenrechtsvereins Bremen. Die Grünen seien nicht nur für den Krieg im Kosovo mitverantwortlich, sondern auch für die staatliche Gewalt gegen Flüchtlinge.

Beck allerdings war gänzlich anderer Meinung, was die generelle Verurteilung von Abschiebungen betrifft: »Wenn die Leute nicht gewaltsam abgeschoben werden, besteht keine Gefahr für sie«, so Beck. Lachend nimmt er einen Anruf auf seinem Handy an und unterhält sich über seinen Brief an Scharping, die Möglichkeit betreffend, die Wehrpflicht auch für Immigrantenkinder einzuführen.

Im Pressegespräch betonte die Sprecherin der Kölner Grünen, es sei eine große Leistung von ihnen, die Polizei, die vor dem Gebäude Stellung bezogen habe, zu bitten, draußen zu bleiben. Dem Eigenlob wurde mit einem Hinweis auf den Freitag widersprochen, als 60 Unterstützer des Hungerstreiks in die Räume kamen und die Grünen kurz davor standen, die Polizei zu holen, weil Sprüche wie »Kriegspartei« an die Wände geschrieben wurden. Die Gefahr, daß die Grünen die Besetzung mit Gewalt beenden, ist allerdings trotz vieler Versprechungen nicht gebannt. Um dem zu begegnen, wollen die Flüchtlinge ihre Öffentlichkeitsarbeit verstärken und um Unterstützungsaktionen bitten, wie es auf der Kölner Domplatte im Zusammenhang mit einer Innenstadtaktion am Sonnabend versucht wurde. Dabei wurden 20 Demonstranten von der Polizei in Gewahrsam genommen.

Tom Kucharz, Köln