Frankfurter Rundschau 5.6.99

"Wenn Apo hängt, dann wird es in der ganzen Türkei brennen"

Wie Frankfurter Kurden und Türken der Prozeß um den PKK-Führer verfolgen / Nicht jeder Kurde ist Öcalan-Anhänger

Von Canan Topçu

Eiscafé Venezia in der Berger Straße: Muhammed, Mehmet, Hasan, Osman, Hikmet und Ahmet sitzen an einem Tisch. Einige von ihnen leben bereits seit zwei oder drei Jahrzehnten hier, einige sind erst vor fünf oder zehn Jahren aus der Türkei geflüchtet. Die aus Anatolien stammenden Männer sind betrübt. Traurig blicken sie um sich, verzweifelt wirken ihre Mienen. Seit Tagen verfolgen die Kurden die Nachrichten über den Öcalan-Prozeß. An ihnen gehen die Berichte aus der türkischen Gefängnisinsel Imrali offensichtlich nicht spurlos vorbei.

Mehmet hat die Bilder, die das Fernsehen am ersten Verhandlungstag zeigte, noch vor Augen. Von morgens bis abends habe er die Nachrichtensendungen in türkischen TV-Kanälen verfolgt. "Im Laufe des Tages hat sich meine Einschätzung geändert", sagt der 40jährige. Zunächst habe er gedacht, daß Abdullah Öcalan seine Äußerungen darüber, daß er Frieden wolle und zu diesem Zweck mit dem türkischen Staat zusammenarbeiten würde, unter Zwang oder Einfluß von Drogen gemacht habe. "Nach den Abendnachrichten wußte ich aber: Öcalan will die türkische Gesellschaft beschwichtigen", urteilt Mehmet.

Biedert sich Öcalan vielleicht aus Todesangst an? Vehement schütteln die Männer die Köpfe. Ihr "Führer" und Todesangst - das passe einfach nicht zusammen. Diese Kurden sind sich einig: Es könne nicht die Rede davon sein, daß "Apo" sich ergebe. Alles, was der PKK-Führer sage, sage er um des Friedens willen. Öcalan reiche der Türkei die Hand. Ein Zeichen des sich Ergebens, wie es teilweise auch in den deutschen Medien interpretiert werde, sei es auf keinen Fall.

"Ekel überfällt mich, wenn ich türkisches Fernsehen verfolge", sagt der 25jährige Hikmet. Die Art, wie Öcalan präsentiert werde, mache ihn wütend. Der türkische Staat glaube wohl, daß er mit Apo auch die zehn Millionen Kurden in den Glaskäfig eingesperrt habe. "Wenn ich sehe, wie Apo verunsichert um sich blickt, dann nimmt mich das sehr mit", sekundiert ein anderer Kurde. Er hat aber auch eine Erklärung für Öcalans Verhalten. Wenn ein Mensch 100 und mehr Tage in einer dunklen Zelle verbracht und kaum Kontakt zu Menschen gehabt habe, dann sei das desorientierte Verhalten wohl kaum verwunderlich.

"Auch wenn sie ihn aufhängen sollten, in meinem Herzen wird er weiterleben", sagt Hikmet, der in den Bergen mitgekämpft hat. Klare Worte auch von Mehmet: "Öcalan hat eine große Kraft hinter sich. Wenn er gehängt wird, werden die Kurden nicht nur sich selbst verbrennen, dann brennt die ganze Türkei", behauptet er. Das wisse die Türkei und werde es sich wohl kaum leisten können, den Führer der Kurden zu töten.

Café Jocker in der Brückenstraße: Auch hier sitzen sechs Männer an einem Tisch und spielen Karten. Sie stammen aus der ostanatolischen Stadt Erzincan. Verfolgen sie den Öcalan-Prozeß? "Ja, machen wir, sogar von Anfang an", antwortet einer und zeigt auf das Fernsehgerät, das in einer Ecke des Lokals steht. Wenn im türkischen Kanal die Nachrichtsendung beginne, werde das Gerät eingeschaltet.

Doch eher desinteressiert wirken dieseMänner, obwohl der Öcalan-Prozeß erst vor ein paar Tagen begonnen hat. Wenig überzeugend klingt es auch, wenn der 50jährige Kamil das Kartenspiel unterbricht und sagt: "Das ist doch sehr wichtig - für die ganze Welt und auch für uns." Aber keiner der Türken, die sich regelmäßig im Café Jocker treffen, will sich über den Prozeß um den Führer der Kurdischen Arbeiterpartei PKK äußern. "Wir warten ab, wie das Urteil ausfällt", sagt Kamil, der seit drei Jahrzehnten in Frankfurt lebt. Seine Freunde, die ebenfalls wie er einst als "Gastarbeiter" nach Deutschland kamen, nicken bestätigend.

Die Meinungen über Öcalan und den Fortgang des Prozesses sind geteilt - desinteressiert wie die Männer aus Erzincan sind nur die wenigsten. Immer wieder ist die Gerichtsverhandlung und das mögliche Todesurteil ein Gesprächsthema - auch in der aus der Türkei stammenden Bevölkerung Frankfurts. "Die Menschen hier sind aber nicht so emotional involviert, weil sie der tagtäglichen Stimmungsmache nicht so ausgesetzt sind in der Türkei", sagt der Stadtverordnete Yalçin Dal (Grüne). "Türken und Kurden - alle haben den Atem anhaltend die Ereignisse der vergangenen Tage verfolgt", hat der aus der Türkei stammende Kommunalpolitiker beobachtet.

Gespalten in ihrem Urteil sind aber nicht nur Kurden als Öcalan-Anhänger und Türken, die sich zumeist für die Todesstrafe und ihrer Vollstreckung aussprechen. Gespalten sind die Kurden auch untereinander. "Der große Mörder muß die Strafe bekommen, die er verdient hat", meint Hasan Arslan. Der 50jährige Kurde betont ausdrücklich, daß er türkischer Staatsbürger sei.

Staatstreu sind auch seine Ansichten: Frieden in der Türkei gibt es erst dann, wenn der PKK-Führer nicht mehr am Leben ist. Arslan meint, daß Öcalan als Agent "fremder Mächte" in deren Auftrag die Unruhe in der Türkei angezettelt hat. Eigentlich gehe es nicht um Türken und Kurden, sondern um Erdölvorkommen und Wasserreserven im Südosten des Landes.