Stuttgarter Zeitung 5.6.1999

Der lange Schatten der PKK schreckt die Türkeitouristen

Branche verzeichnet drastischen Rückgang der Besucherzahlen - Hotelbesitzer locken Gäste mit Preisnachlässen

Die letzte Hoffnung sind die Einheimischen. Die Drohung der PKK hat gewirkt. Zu Beginn der Touristensaison sind die türkischen Strände leer.

Von Astrid Frefel, Istanbul

Wer einen ruhigen Platz am Strand sucht, für den ist die Türkei in diesem Jahr der sicherste Tip. Trotz 30 Grad Luft- und 25 Grad Wassertemperatur sind zu Beginn der Urlaubsaison an vielen Orten die Kapazitäten nur zwischen zehn und 25 Prozent ausgelastet. Manche Hotels, Pensionen und Geschäfte haben ihre Tore auch im Juni noch gar nicht aufgesperrt. Dabei ist in diesem Jahr die Zahl der als ¸¸besonders sauber'' ausgezeichneten Strände von 46 auf 64 gestiegen.

Klagen aus der türkischen Touristikbranche sind im Frühjahr nichts Außergewöhnliches. Diesmal sind sie aber berechtigt. Nachdem die PKK Mitte März vor Anschlägen an der türkischen Südküste gewarnt hatte, sind etwa bei Öger-Tours, dem wichtigsten deutschen Reiseveranstalter, die Buchungen schlagartig auf ein Fünftel des normalen Wertes gefallen. Zudem hagelte es Stornierungen. Insgesamt kamen in den ersten vier Monaten 15 Prozent weniger Touristen in die Türkei als im Vorjahr. Der Einbruch betraf vor allem Gäste aus Deutschland, Großbritannien, Österreich und den Niederlanden.

Im vergangenen Jahr reisten nach offiziellen Angaben 9,7 Millionen Touristen in die Türkei und gaben hier rund 15 Milliarden Mark (7,6 Milliarden Euro) aus. Etwa 2,3 Millionen Gäste kamen aus Deutschland. Für 1999 waren die Planer von einem Anstieg der Besucherzahl auf 11 Millionen und Einnahmen von 17 Millarden Mark ausgegangen. Diese Werte sind nun völlig illusorisch geworden. Experten gehen von einem Einbruch von rund 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus. Der Verband der Reiseunternehmen spricht von 3,8 Millarden Mark Mindereinnahmen in der Zeit zwischen dem 15. Februar und Ende Mai. 50000 Angestellte haben ihre Arbeit verloren. Insgesamt bietet die Branche Beschäftigung für 2,5 Millionen Menschen.

Die Charterflüge sind um etwa 60 Prozent zurückgegangen. Und auch die staatliche Fluggesellschaft THY mußte einen Rückgang der Passagierzahlen im internen Verkehr registrieren. Die THY geht nicht von einer schnellen Erholung aus. Eigene Marktforschung und die Buchungsstatistik zeigten einen kräftigen Einbruch bei den ausländischen Touristen, ließ das Unternehmen wissen. Pläne für einen weiteren Streckenausbau nach Barcelona, Warschau und Prag wurden deshalb vorerst auf Eis gelegt und die Erneuerung der Flugzeugflotte verlangsamt.

Dieses Jahr sei verloren, erklärte eine Restaurantbesitzerin in Selcuk bei Efes der Tageszeitung ¸¸Radikal'', die eine ganze Serie abdruckte unter dem Titel ¸¸Die Tränen des Tourismus''. Der Tenor war überall derselbe. Solange der Öcalan-Prozeß nicht vorbei und nicht klar sei, was mit dem PKK-Chef schließlich geschehe, werde sich die Situation nicht ändern, ist ein Reisebürobesitzer in Istanbul überzeugt. Der Verband der türkischen Reiseagenturen hat die Medien des Landes eindringlich aufgefordert, keine Nachrichten und Bilder mehr zu verbreiten, die dem Tourismus weiter schaden könnten.

Mit Preisnachlässen versuchen die Hotelbesitzer zu retten, was noch zu retten ist. Die Rabatte betragen bis zu 50 Prozent. In Fünfsternehäusern ist die Halbpension in dieser Saison bereits für 110 Mark zu bekommen. Die Branche hofft nun, daß im Sommer einheimische Touristen die Löcher stopfen helfen. Der Schaden dürfte aber nicht auf dieses Jahr beschränkt bleiben. Auch die Türkei wollte sich für das Jahr 2000 mit Programmen unter dem Motto ¸¸Religionstourismus'' ein Stück aus dem Jahrtausendkuchen abschneiden. Jetzt fürchtet die Branche, daß dies ein Traum bleiben könnte.

Die Drohungen der PKK sind aber nicht das einzige Problem des türkischen Tourismus. Dieser Sektor leidet seit mehreren Jahren an einer strukturellen Krise. Da man sich zu einseitig auf den Billigtourismus gestützt habe, halten die Einnahmen mit den Gästezahlen nicht Schritt. Rechnet man die Profite gegen die Ausgaben für neue Straßen und Flughäfen auf, bleibt unter dem Strich kaum mehr etwas übrig. Eine langfristige Tourismuspolitik ist angesichts der Tatsache, daß die Minister in Abständen von wenigen Monaten wechseln, aber nicht möglich.Tourismuskrise in der Türkei: Ferienanlagen zum Verkauf

Istanbul (dpa) - In der Türkei stehen derzeit rund 300 große Hotel- und Ferienanlagen zum Verkauf.

Die Anlagen können seit drei Monaten keine Gehälter und keine Kredite mehr zahlen», sagte der Vorsitzende des türkischen Hotelierverbandes Ali Güreli der türkischen Zeitung «Milliyet» (Samstag-Ausgabe). Vor allem die Touristen-Hochburg Antalya sei von der Krise betroffen. 1997 waren mehr als 1 900 touristische Anlagen in der Türkei registriert.

Der türkische Verband der Reiseagenturen und der Hotelierverband fordern nun eine schnelle Hilfe für die betroffene Tourismusbranche. Demnach sollen Betriebe u.a. Steuern und Versicherungen zu einem späteren Zeitpunkt zahlen dürfen. Grund für die schlechte Saison sind u.a. zahlreiche Anschläge in der Türkei und der Prozeß gegen den Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan.