Kölner Stadt-Anzeiger 3.6.99

Yesim Ustaoglu

Spiegel einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft

Der Film "Reise zur Sonne" demnächst in unseren Kinos - Gespräch mit der Regisseurin

Von Josef Schnelle

Nach dem Erfolg auf der Berlinale, wo "Reise zur Sonne" mehrere Preise erhielt, wird dieser zweite Spielfilm der in Sarikamis im Osten der Türkei geborenen Yesim Ustaoglu von nächster Woche an auch in unseren Kinos gezeigt. In Düsseldorf sprach die Regisseurin jetzt über ihre Arbeit.

"Das scheint mich überallhin zu begleiten", räumt die zierliche türkische Regisseurin Yesim Ustaoglu (38) sofort ein. Bei der Premiere ihres Films auf der Berlinale wollte kaum jemand mit ihr über den Film reden, weil gerade am Tag der Filmvorführung der Kurdenführer Öcalan verhaftet worden war und heftige Proteste die Stadt erschütterten. Jetzt, kurz vor dem deutschen Filmstart, steht Öcalan vor Gericht. Wieder soll sie nur Stellung nehmen, zu dem, was in der Türkei gerade passiert. "Natürlich habe ich damit gerechnet, daß mein Film politisch gesehen wird, schließlich ist es ein politischer Film und der erste türkische Film seit 'Yol' von Yilmaz Güney , in dem kurdisch gesprochen wird." Ustaoglus Film erzählt jedoch davon, wie eine Freundschaft zweier Männer den alltäglichen Rassismus der türkischen Gesellschaft - für kurze Zeit wenigstens - überwindet. Mehmet wird wegen seiner ungewöhnlich dunklen Haut als vermeintlicher Kurde verhaftet und ist nach einer Woche im türkischen Folterknast ein "Outcast". "Jetzt treibt sie sich schon mit 'Knackies' herum" sagen die Eltern seiner Freundin Arzu, die Nylonstrümpfe mit Naht liebt und Mehmet im Istanbuler Polizeigefängnis besucht. Gerade aber, als der Türke Mehmet und der Kurde Berzan ihre Freundschaft leben wollen, wird Berzan bei einer Demonstration verhaftet. Mehmet kann nur noch die von der Folter zerschundene Leiche seines Freundes abholen und bricht auf zum letzten Liebesdienst, zu einer Reise in das Heimatdorf des Freundes an der irakischen Grenze. "Ist da einer drin?" fragt ihn mißtrauisch jeder, der ihm mit der Sargkiste begegnet.

Ustaoglu beschreibt eine zutiefst unbefriedete und gespaltene Gesellschaft. "Sie sind so leicht zu manipulieren", kritisiert Ustaoglu ihre türkischen Landsleute und deren rassistisches Verhältnis zur kurdischen Minderheit, "aber wenn sie die Chance bekommen, miteinander Tee zu trinken, dann sieht die Sache anders aus." "Reise in die Sonne" ist ein knallharter, politischer Film, einer von der Sorte, die fast vergessen schien. Immer nah dran an den Figuren, sonst verlöre man im Chaos des Menschengewimmels in Istanbul auch schnell den Überblick. "In Gefahr und höchster Not" befinden sich all diejenigen , die friedlich und normal miteinander leben möchten. Polizei und Militär sind allgegenwärtig und immer bedrohlich. Und doch enthält dieser Film auch eine Liebeserklärung, zumindest an den Schmelztigel Istanbul, in dessen Subkulturen Türken und Kurden und auch die Kinder von Mohammed und Coca-Cola miteinander leben, als hätte es niemals einen Zusammenprall der Kulturen und Identitäten gegeben. Yesim Ostaoglus Rezept gegen den Rassenhaß, Gewalt und Intoleranz ist einfach, fast naiv: "Freundschaft, menschliche Wärme und dazu eine Prise Neugier auf das Fremde und Andere, dann wird's schon gehen."

Wenn man der jungen Frau aus Istanbul begegnet, traut man ihr kaum zu, die Löwengrube der Filmregie auch nur einen Tag zu überstehen und dabei politisch derart dezidiert Stellung zu nehmen. Sie spricht wenig, dann leise, lächelt sanft, wirkt zerbrechlich und doch weiß sie sehr genau, was sie will. In ihrem ersten langen Spielfilm "Die Spur" hat sie 1994 intelligent und vielschichtig die Psyche eines Folterers aufzufächern versucht. Jetzt kann sie sich kaum retten vor Festivalpreisen (in Berlin, Istanbul und Izmir ) für ihren zweiten Spielfilm, der die Versöhnung zwischen Türken und Kurden beschreibt als das Schwierige, das doch so einfach zu machen wäre. Inzwischen hat ihr Film auch die staatliche Zensurfreigabe für die Türkei bekommen und wird dort Ende des Jahres in die Kinos kommen. Vorher kann man ihn in Deutschland sehen und das Werk einer Regisseurin kennenlernen , die sich anschickt, in die Fußstapfen ihres großen Vorgängers Yilmaz Güney zu treten. Denn ihr Film ist ebenso politisch wie poetisch, was man nicht erst spürt, wenn ihr Held die Stadt verläßt und die Kamera sich gar nicht lösen mag von der Dämmerung über Istanbul. "Ich liebe diese Stadt, sie ist ein Mikrokosmos der Türkei. So voller Versprechungen und Hoffnungen, ein Experimentierlabor, das vielleicht auch alle Lösungen für die Zukunft unseres Landes bereit hält."