taz Berlin 1.6.1999

Justiz am Ende
Nun müssen die Kurden aussagen

Nun sollen also die Aktendekkel geschlossen werden. Begründung von Justizsenator Körting: Eine Weiterführung des Verfahrens sei rechtlich nicht möglich. Die Schüsse vor dem israelischen Generalkonsulat, denen vier Kurden zum Opfer fielen, bleiben damit wohl für immer ungesühnt.

Daß sie aber ungeklärt seien, davon kann immer weniger die Rede sein. Nicht zuletzt die Begründung Körtings ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß zumindest einer der beiden Schützen wahllos in die Menge feuerte. Was der Justizsenator aber auch nicht will, ist, die israelische Regierung - vertreten durch ihren Botschafter - der Lüge zu bezichtigen.

So will es also die Diplomatie, daß just zu dem Zeitpunkt, an dem sich die These von der Notwehr kaum mehr aufrechterhalten läßt, die Justiz das Blutbad zu den Akten legt. Ein Vorgang, der dem der israelischen Behörden nicht unähnlich ist, wenn es um tödliche Schüsse gegen Palästinenser geht. Mit Rechtsstaat hat das jedenfalls nichts zu tun.

Je mehr sich die Justiz aus ihrer Verantwortung stiehlt, desto mehr sind deshalb die Kurden selbst gefragt. Bislang stützten sich die Ermittlungen im wesentlichen auf die Aussagen der Israelis und der Polizei. Die Kurden haben, um sich selbst nicht zu belasten, von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch gemacht. Doch zu welchem Preis?

Wenn jemand den politischen Druck auf die Justiz und das Auswärtige Amt erhöhen kann, die tödlichen Schüsse nicht unter den Teppich der Diplomatie zu kehren, sind es die beteiligten Kurden. Sie müssen, auch unter dem Risiko ihrer eigenen Strafverfolgung, ihr Schweigen brechen. Nicht, weil sich damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß die beiden Schützen und Mitglieder des Geheimdienstes Schabak zur Verantwortung gezogen werden. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn durch weitere Zeugenaussagen die Schilderung eines Polizisten untermauert würde, der gesagt hat, daß der Sicherheitsbeamte auf der Außentreppe "in einer Geschwindigkeit schoß, die man als Dauerfeuer bezeichnen kann". Dann müßten sich auch die Diplomaten mehr als bisher fragen, wieviel Wahrheit oder wieviel Lüge ihr Metier verträgt.

Uwe Rada