taz 17.6.1999

Die Lage ist ernst

betr.: "Auszeit für Abdullah Öcalan", taz vom 9. 6. 99

Jürgen Gottschlich schreibt: "Nachdem das sogenannte Präsidium der PKK vor einer Woche in einer schriftlichen Stellungnahme den Friedensappell Öcalans vor Gericht unterstützt hatte, meldete sich gestern noch einmal der militärische Flügel der Partei, die ARGK, zu Wort. Im Gegensatz zur derzeitigen politischen Führung betont die ARGK die andauernde Kampfbereitschaft der PKK. Mit der Drohung, 'ein Todesurteil für Öcalan wäre Selbstmord für den türkischen Staat', versucht die Militärführung vor der Schlußphase des Prozesses noch einmal auf das Urteil Einfluß zu nehmen. Sollte Öcalan dennoch zum Tode verurteilt werden, werde, so die ARGK in ihrer Erklärung, 'das kurdische Volk von seinem legitimen Recht Gebrauch machen, seine nationale Ehre zu verteidigen'."

In einer Meldung der Presseagentur AP vom 31. 5. 1999 liest man: "Zum Auftakt seines Prozesses auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali hat der kurdische Rebellenführer Abdullah Öcalan am Montag die Kämpfer seiner Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) aufgefordert, die Waffen niederzulegen. Die Kämpfe sollten sofort beendet und die Waffen niedergelegt werden, sagte der PKK-Vorsitzende in einer versöhnlich gefaßten Erklärung. Dem türkischen Staat bot er für eine friedliche und brüderliche Lösung des blutigen Konflikts in Ostanatolien Zusammenarbeit an und bat darum, sein Leben zu verschonen. Die Hinterbliebenen der bei den Kämpfen im Osten der Türkei Getöteten bat Öcalan um Vergebung und versicherte sie seiner Anteilnahme."

Meines Erachtens liegt es jetzt in den Händen der Türkischen Republik, Frieden zu schaffen. Dafür muß die türkische Öffentlichkeit möglichst schnell damit beginnen, an den Konflikt sachlich heranzugehen anstatt mit Rachegefühlen Zeit zu verlieren. Denn ein guter Teil der 29.000 Toten in diesem Konflikt, wie die Agenturen berichten, geht auf das Konto der Armee und der Spezialteams der Polizei. Während die PKK angeblich die mit dem Staat kollaborierenden kurdischen Zivilisten oder Angehörigen der paramilitärische kurdischen Einheiten tötete, wurden auch Tausende kurdische Oppositionelle durch "Unbekannte(!)" ermordet. Abgesehen davon, daß die PKK-Kämpfer in der Regel von der Armee im Gefecht getötet wurden.

Die Friedensinitiative Öcalans beinhaltet lediglich demokratische Reformen, die auf die Anerkennung der kurdischen Identität abzielen, ohne die Integrität des türkischen Staates in Frage zu stellen. Falls der türkische Staat auch weiterhin die kulturellen Freiheiten der Kurden nicht anerkennt und Öcalan hinrichten sollte, wird es wahrscheinlich kein Ende des Blutvergießens geben. Die eine Seite wird "den totalen Krieg" und die andere "den totalen Kampf gegen den Terrorismus" führen. Falls die Initiative von Öcalan keinen Erfolg haben sollte, werden die rebellischen Kurden nicht mehr auf ihn hören. Die Lage ist ernst !

Für mich als türkischstämmigen deutschen Bürger ist es unverständlich, warum die Kurden oder andere nichttürkische Ethnien in der Türkei keine kulturellen Freiheiten haben sollen, während ich hier in Deutschland meine kulturelle Freiheiten genießen kann. Ich verteidige das Leben Öcalans für den Frieden in der Türkei. Öcalans Leben und seine Friedensinitiative stellen die letzte Chance vor dem "totalen Töten" dar. Alper Öktem, Vorstandsmitglied

des demokratischen Türkeiforums e.V.