Göttinger Tageblatt 31.5.1999

Bericht: Deutschland wollte Öcalan nicht haben

Bonn (dpa) - Es war verzwickt - doch eines war von Anfang an klar: Deutschland wollte den PKK-Chef Abdullah Öcalan nicht haben. Eine Auslieferung des am 12. November 1998 in Italien festgenommenen Führers der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei kam nicht in Frage.

Zwar gab es einzelne Stimmen, die eine Auslieferung befürworteten, doch ernsthaft war daran keiner interessiert. Über die Gründe mußte man nicht lange spekulieren. Aus Regierungskreisen hieß es, es gebe ein ganzes Motivbündel. Doch klar sei, keiner wolle das «türkische Problem Kurden» nach Deutschland holen. Zu groß war die Angst vor Anschlägen, vor Gewalt und Attentaten. Zu stark die Gefahr von Unruhen unter Kurden, wenn Öcalan in der Bundesrepublik inhaftiert wäre. Hole man Öcalan, sei «der Ausgang nur schwer kalkulierbar».

Damit steckte Deutschland in der Klemme. Auf der einen Seite wollte Bonn nicht, daß Öcalan nach Deutschland kommt. Auf der anderen Seite war man aus Menschenrechtsgründen dagegen, daß der PKK-Führer in die Türkei ausgeliefert werden könnte, wo ihm die Todesstrafe droht.

Solange Öcalan in Italien und später quer durch Europa unterwegs war, war Deutschland aus dem Schneider. Vorwürfe wurden keine laut - erst dann, als der Separatistenführer nach monatelanger Flucht im Februar 1999 unter nach wie vor nicht endgültig geklärten Umständen aus der Botschaft Athens in Nairobi in die Türkei gebracht wurde.

Hunderte von Kurden besetzten die Botschaften Griechenlands in Berlin, Düsseldorf, Stuttgart, München, Köln, Frankfurt und Hamburg. Zum Teil wurden die Gebäude von PKK-Aktivisten verwüstet, Scheiben wurden zertrümmert, Mobiliar zerstört, Akten flogen aus dem Fenster.

Und dann kamen die Todesschüsse in Berlin. Am 17. Februar wurden drei Kurden beim Versuch, das israelische Generalkonsulat zu stürmen, von israelischen Sicherheitsbeamten erschossen. Die Proteste nahmen zu, wurden immer gewalttätiger.

Nahezu hilflos forderte die Bundesregierung alle Beteiligten auf, «alles zu tun, um die Emotionen, die in diesem Zusammenhang geschürt worden sind, oder geschürt werden, zu unterlassen». Die mangelnde Information über die Festnahme Öcalans wurde beklagt, Überlegungen zu einer effektiveren Bekämpfung kurdischer Extremisten angestellt, doch Fehler im Vorgehen kamen nicht zur Sprache. Die Union warf der Regierung Untätigkeit beim Kurden-Problem vor.

Angesichts des bevorstehenden Verfahrens gegen Öcalan bleiben Deutschland nur noch Appelle und die Hoffnung auf einen fairen Prozeß. Dir türkischen Behören sollen internationale Beobachter zulassen, sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder. Es müsse ein rechtsstaatliches Verfahren geben. Öcalan müsse korrekt behandelt werden, die Todesstrafe dürfe nicht verhängt werden.