junge Welt 25.05.1999

So ins 21. Jahrhundert?
Zu einigen Ursachen und Auswirkungen des USA-Krieges gegen Jugoslawien.

Von Fritz Teppich
Ursachen und Auswirkungen des USA-Bombenkrieges gegen Jugoslawien, der von gewieften PR-Profis in eine Menschenrechtsaktion umgefälscht wird, können erst über Kenntnis der Verquickung von mindestens einigen Hauptgegebenheiten einigermaßen klar durchschaut werden.
1. Das am Schnittpunkt zwischen Europa und Asien gelegene Südosteuropa, der sogenannte Balkan, ist wegen seiner geostrategischen Bedeutung ein seit Jahrhunderten umkämpftes Gebiet, dessen Verfügbarkeit mit eine Voraussetzung für Weltherrschaft ist. Inzwischen verstärkt, da vom nordwestlichen, weiter nichtkapitalistischen Jugoslawien aus die wichtigen nahöstlichen und kaspischen Ölvorkommen durch eine vornehmlich USA-bestimmte Länderkette bis einschließlich Pakistan abgeschirmt werden.
2. Die einstige Großmacht Türkei hatte seit dem frühen Mittelalter mit weitgreifenden Eroberungen von wechselndem Bestand in Asien, Afrika und auch Europa ihre Territorien bedeutend ausgedehnt. Unter den dabei zusammengewürfelten Völkerschaften wurden Feindschaften entfacht, die zu imperialistischen Neuzeiten in unversöhnlich dünkende Nationalismen mündeten.
3. Durch Herausreißen von Kroatien und Slowenien aus dem jugoslawischen Staatsverband - bei besonderem Engagement von Bundesaußenminister Genscher - wurden die unter Tito besänftigten nationalistischen Leidenschaften wieder erweckt, was den unter USA-Oberhoheit agierenden politischen Brandstiftern ungewollt half, als »Feuerwehr« aufzutreten - bombend.
4. Washington, das sich nun als Verteidiger kosovarischer Säuberungsbedrohter aufspielt, verdankt seine heutige Vormachtstellung nicht zuletzt auch der ethnischen Ausrottung der indianischen Urbevölkerung Nordamerikas. Ehe weiße Landräuber seinerzeit gen Westen vorstießen, lebten um 1500 dort 9,8 bis 12,5 Millionen Indianer, deren Nachkommenschaft infolge der wohl massivsten und grausamsten ethnischen Säuberungen der neueren Menschheitsgeschichte 1887 auf nur noch 243 000 nordamerikanische Indianer zusammengeschmolzen war.
5. Zu Zeiten des Zusammenbruchs der antikapitalistischen Republiken in Osteuropa 1989/90 rechneten die USA-Regierenden mit dem weltweit endgültigem Zerfall des Sozialismus/Kommunismus und kalkulierten, die Überbleibsel ohne Militäreinsätze, nur über finanzielle und politische Hebel, austrocknen zu können. Bald jedoch gewannen dort Neugründungen von Bewegungen und Parteien, oft widersprüchlicher Ausrichtung, an Gewicht. China erstarkte wirtschaftlich. Daraufhin vollzog Washington eine Rückwende und orientierte um auf rascheste Fundierung seiner Weltbeherrschungs-Ziele.
6. In der Folge wurde mit viel Geld und Beharrlichkeit versucht, den als zu schlapp geltenden Clinton seines Amtes zu entheben und einen ausgewiesenen Machtmenschen zum Präsidenten zu küren. Das mißlang. Nun suchte Clinton sich durch Härte zu profilieren, löste den völkerrechtswidrigen Angriff auf Jugoslawien aus, scheiterte jedoch mit dem Vorhaben, die Überfallenen binnen weniger Tage niederzuzwingen.
Angesichts zunehmenden Unwillens der Weltöffentlichkeit beschloß der folgende G-8-Gipfel, zumindest rhetorisch etwas einzulenken. Das daraufhin inszenierte Bombardement der China-Botschaft in Belgrad ließ das Gerücht aufkommen, Verschwörer wollten durch Provokationen jeglichen Stopp der Kriegshandlungen verhindern (AP-Foto vom 60. Tag der Aggression: Zerstörte Wohnhäuser in Smederevo 55 km östlich von Belgrad).
Einige Präzisierungen: Allein eigene USA-Interessen sind in Sachen Jugoslawien ausschlaggebend. Abhängige Staaten, so die Türkei, werden gegen Unabhängigkeit anstrebende Minderheiten wie die Kurden, brutal unterstützt - dagegen werden innerhalb souveränitätsbewußter Staaten, siehe Jugoslawien, von Washington aus gegängelte Minderheiten, so die Kosovaren, zum Aufbegehren aufgehetzt. Zur Art der Machtausübung durch die USA hat der USA-Schriftsteller Gore Vidal in einem Spiegel-Gespräch (Nr. 6/1999) interessante Angaben gemacht: »Um die Russen zu bekämpfen, haben wir eine imperiale Machtstruktur errichtet ... Die NATO war unser Instrument, um die Kontrolle zu behalten über die Russen ... und über Deutschland, Frankreich und England ... Gesellschaft und Politik sind bei uns völlig militarisiert ... Amerika ist heute ein Polizeistaat ...« - Also keine Demokratie, wie der Öffentlichkeit immer wieder weiszumachen versucht wird. Doch was ist Demokratie tatsächlich? So zum Beispiel im »Meyers« (1903) oder im »Duden« (Mannheim 1961): »Demokratie = Volksherrschaft«. In der Tat herrscht in den USA und im heutigen Deutschland nur bürgerlicher Parlamentarismus. Meyers erläutert den Unterschied: »Anders liegt die Sache bei der Sozialdemokratie (vor dem I. Weltkrieg! - F. T.), welche die Errichtung eines Freien Volksstaates, also einer Republik mit sozialer Gleichstellung aller Volksgenossen anstrebt.« Zu Punkt 5 hier Äußerungen der schröderkonformen, rechtssozialdemokratischen Professorin Gesine Schwan am 8. Mai auf einer Sonderseite des Berliner »Tagesspiegel«: »Es gab in der Tat Hoffnung, mit dem Ende der kommunistischen Herausforderung sei die Demokratie ein für alle mal gesichert und brauche sich nur noch langsam auszubreiten. Nun zeigt sich, daß diese Hoffnung übersehen hat, wie schwierig die Praxis der Demokratie ist ...« Schließlich möchte ich als Shoa-Überlebender den regierungsnahen bundesrepublikanischen Diffamierern der jugoslawischen Regierung als »faschistisch« argumentativ entgegentreten. Dabei empört mich, daß sogar Enkel der Generation der deutschen Auschwitz-Henker in der rosa-grünen Bundesregierung nicht davor zurückschrecken, gegen die Verteidiger der jugoslawischen Souveränität den Begriff »Auschwitz« in den Mund zu nehmen. Dabei wissen sie genau, daß nicht wenige ihrer Väter oder Großväter dem nur von Deutschland industriell betriebenen Millionenmord zugearbeitet hatten, während in Jugoslawien bei aller gegenseitigen Brutalität nichts auch nur annähernd Vergleichbares verübt worden ist oder wird. In Sachen Faschismus stehe ich aus meinen konkreten Erfahrungen mit den Verhältnissen in Nazi-Deutschland, Franco-Spanien und in Salazars damaligem Portugal zu der Formel von der unverhüllt betriebenen blutigen Diktatur der aggressivsten Teile des Monopolkapitals. Endlich wird auch in der Bundesrepublik zugegeben, welche ausschlaggebende Rolle hinter den Kulissen Konzernunternehmen wie die Deutsche Bank oder Großfirmen von Metall, Chemie, Maschinenbau usw. gespielt haben. Dagegen hat im Nachkriegsjugoslawien bekanntermaßen Monopolkapital nie geherrscht, um nur dies anzuführen. Das dortige uralt verwurzelte, brutale Anrennen der unterschiedlichen Nationalisten gegeneinander hat mit dem in diesem Jahrhundert konstruierten Faschismus nichts zu tun, wie auch immer man das Milosevic-Regime ansonsten einschätzen mag. Lenin und Trotzki waren gleichgestimmte Antinationalisten, beurteilten anstehende Probleme allerdings nie undifferenziert. Hier aus Trotzkis Buch »Die spanische Revolution« in meiner Übersetzung aus dem Französischen: »Angesichts der gegenwärtigen Kombination der Klassenkräfte ist der katalanische Nationalismus eine fortschrittlich-revolutionäre Erscheinung - der spanische Nationalismus dagegen eine reaktionär-imperialistische.« - Eine Parallele zu den Verhältnissen in Südosteuropa kann nicht einfach gezogen werden, soll jedoch zu Nachdenklichkeit anregen. Schlußfolgerung aus allem hier Vorgetragenen: Die hochgerüstete Supermacht USA hat z. B. keinen Finger gerührt angesichts der fürchterlichen Massenmorde in dem für sie wenig interessanten Ruanda, hat sich in Somalia bald verabschiedet, unterstützt Unterdrücker gegen ins Abseits Getriebene wie Kurden, Palästinenser, Basken oder andere auf Unabhängigkeit orientierte Minderheiten. Im noch unbesetzten Südfrankreich hatte ich 1942 in Marseille erlebt, wie vor Nazideutschland geflüchtete Juden in langen Schlangen vor dem USA-Konsulat um Visa angestanden hatten, jedoch mit wenigen Ausnahmen abgewiesen worden waren und in der Folge von einmarschierenden Deutschen festgenommen und deportiert wurden und wohl nahezu ausnahmslos der Massenmordmaschinerie zum Opfer fielen. Während zum Beispiel der portugiesische Konsul in Bordeaux, Aristides de Sousa Mendes, gegen die Direktive Salazars, rund zehntausend Verfolgten Visa ausstellte (und dafür niederschmetternd bestraft wurde), ist mir von USA-Vertretern nichts auch nur annähernd Ähnliches zu Ohren gekommen. Washington kannte und kennt nur eins: eigene Machtinteressen. Das entspricht den Lebensmaximen der dortigen kapitalistischen Oberschicht. Aufwand für andere nur, wenn es sich auszahlt, wenn es unter anderem vorrangig Wirtschaftsexpansionen dient. Im Kosovo geht es den Vereinigten Staaten ausschließlich um Festigung eigener strategischer, politischer und wirtschaftlicher Vorherrschaft. Aus meiner Sicht haben die USA sich in den zurückliegenden Jahren zu einer von Monopolen beherrschten Macht entwickelt, die sich nicht mehr scheut, offen ihre Mordwaffen auch völkerrechtswidrig einzusetzen, also eine faschistoid gefärbte Interventionsmacht. Gelingt es im Zeitalter von Atomwaffen und elektronischen sowie chemischen Waffen nicht, in relativer Kürze den Zugriff Washingtons auf die Welt zu stoppen, so werden wir - besser unsere Kinder und Enkel – im 21. Jahrhundert eine fürchterliche, durch Faustrecht verdüsterte Epoche erleiden müssen.