Stuttgarter Zeitung 22.5.99

Vor dem Prozeß gegen Öcalan Todesurteile

Es ist ruhig geworden um Abdullah Öcalan. Die Kurden demonstrieren nicht mehr in deutschen Städten, deutsche Urlauber kommen nicht mehr an die türkischen Strände. Und der PKK-Chef wartet auf der Insel Imrali im Marmarameer auf seinen Prozeß. Bevor dieses Verfahren in wenigen Tagen beginnt, kommen aus der Türkei auch schon Signale, wie diese Gerichtsverhandlung ausgehen wird. Denn jetzt sind in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir zwei führende Mitglieder der PKK zum Tode verurteilt worden.
Das Urteil wurde gefällt, obwohl sich die beiden Brüder schon vor Jahren von der PKK losgesagt hatten. Da gehört wenig Phantasie dazu, sich auszumalen, wie das Urteil gegen den Chef der PKK aussehen wird. Es steht viel auf dem Spiel.  Auch für die Türkei. Nach außen geht es um das Ansehen des türkischen Staates, der von sich behauptet, ein Rechtsstaat zu sein. Für die meisten Türken ist Öcalan ein Terrorist und Mörder. Für viele Kurden ist er dagegen Held, Märtyrer und Freiheitskämpfer. Der Kleinkrieg zwischen PKK-Aktivisten und der türkischen Armee hat 30000 Tote gefordert und im Osten der Türkei verwüstete, menschenleere Regionen hinterlassen. Kurden sind vertrieben worden, sie sind in die Mega-Siedlungen Istanbul und Izmir geflüchtet. Die türkische Regierung und mit ihr die Armee wollen nicht sehen, daß es eine politische Lösung des Kurdenproblems geben muß, wenn nach innen Frieden einkehren soll. Der Westen kämpft im Augenblick um eine Autonomie des Kosovo innerhalb des jugoslawischen Staates. Aber die Türkei ist Nato-Mitglied.
Deshalb drückt der Westen alle Augen zu, wenn türkische Truppen bis in den Nordirak ausgreifen. Wer engagiert sich für die Kurden in der Türkei?Von Adrian Zielcke