Leipziger Volkszeitung 20.5.1999

Oschatz: Pfarrer gibt Kurdenjungen Asyl in der Kirche
Abschiebung soll verhindert werden

Oschatz. Der katholische Pfarrer Peter Müller hat in der Nacht zu gestern Mehmet Demir in seiner Kirche Asyl gewährt. Der 17jährige Kurde sollte kurz nach Mitternacht in seine Heimat abgeschoben werden, da sein Asylantrag am 19. April abgelehnt wurde. Pfarrer Müller will dem jungen Mann jedoch solange Zuflucht gewähren, bis über seine Klage gegen die Asyl-Ablehnung entschieden ist. Im Kreis Torgau-Oschatz wird damit zum ersten Mal Kirchenasyl gewährt. Die Familie von Mehmet wurde bereits am 18. Februar in die Türkei abgeschoben. Der 17jährige war zu diesem Zeitpunkt bei Freunden in Döbeln und erfuhr erst später von der Abschiebung. Zuerst wollte er seinen Eltern folgen, doch dann erfuhr er:"Mein Vater wurde von der türkischen Polizei in Istanbul brutal zusammengeschlagen, und seine gesamten Ersparnisse wurden ihm abgenommen." Aus Angst vor der türkischen Polizei stellte Mehmet schließlich selbst einen Asylantrag.  "Nur in Deutschland kann ich mich sicher und geborgen fühlen", begründete er. Der Asylantrag wurde am 19. April vom Bundesamt abgelehnt. Von einer Klage gegen diesen Bescheid ist der Zentralen Ausländerbehörde in Chemnitz allerdings nichts bekannt. "Auch wenn es diese Klage geben würde, hätte sie aus rechtlicher Sicht keine aufschiebende Wirkung", sagte Joachim Eckert, Sprecher des zuständigen Regierungspräsidiums (RP) Chemnitz.
Für Pfarrer Müller steht indes fest: "Solange die Klage nicht abgelehnt ist, wird die Kirche Mehmet Unterschlupf bieten." Das könnte auf ein längeres Kräftemessen zwischen Kirche und Staat hinauslaufen. "Der Junge wird zwar nicht aus der Kirche herausgeholt, er verliert aber sämtliche Leistungsansprüche wie Sozialhilfe. Er muß auf private Kosten des Pfarrers oder auf Kirchenkosten versorgt werden", sagte RP-Sprecher Eckert. Was passiert, wenn Mehmet die Kirche verläßt? "Sobald er sich im öffentlichen Raum befindet, wird er abgeschoben", so Eckert. Der Duisburger Rechtsanwalt Hans-P. Bemb, der Mehmet vertritt, kann nicht nachvollziehen, warum die Ausländerbehörde seine Klage vom 6. Mai gegen die Asyl-Ablehnung noch nicht auf dem Tisch hat. Für Bemb stand gestern fest: "Ich werde einen Vollstreckungsschutzantrag beim Verwaltungsgericht Leipzig einreichen." Mehmet soll dadurch vor der Abschiebung geschützt werden. Ob diesem Antrag stattgegeben wird, muß abgewartet werden. Der Fall Nehmet wird auch von der Ordnungsamtsleiterin der Kreisbehörde Torgau-Oschatz, die für Ausländerfragen zuständig ist, mit Spannung verfolgt. "Bisher hatten wir im Kreis Torgau-Oschatz noch keinen Fall von Kirchenasyl", sagte Jutta Pfennig.
Frank Hörügel