Süddeutsche Zeitung 21.5.99

Ankara schafft die Kurden ab
Vor dem Prozeß gegen PKK-Führer Öcalan veröffentlicht die Türkei eine Liste verbotener Wörter – die Sprachpolizei läßt grüßen

Gut eine Woche dauert es noch, bevor der Prozeß gegen Abdullah „Apo“ Öcalan, den Führer der separatistischen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) beginnt, aber die Türkei hat die Kurden schon jetzt abgeschafft – mit einem Federstrich.
In einem Erlaß an die staatlichen Medien hat das Innenministerium in Ankara die künftig verbindliche Sprachregelung festgelegt, und da hat das Wort „kurdisch“ keinen Platz mehr. Aus Kurden werden einheitlich „Terroristen“; nur wenn sie jenseits der Grenzen leben, heißen sie „Nord-Iraker“.
Insgesamt 37 Wörter umfaßt die Liste des Innenministeriums. Sie war bereits am 26. April erstellt und dem staatlichen Rundfunk- und Fernsehsender TRT sowie der amtlichen Nachrichtenagentur „Anadolu Ajansi“ zugestellt worden. Doch erst jetzt berichtete die Istanbuler Tageszeitung Milliyet über die Sprachvorschriften.  Verbindlich sind sie nur für staatliche Medien; doch es ist nicht auszuschließen, daß sich private Zeitungen und Sender anschließen werden.
Nicht einmal assimilierte Kurden in der Türkei, die gerne als „Bürger erster Klasse“ eingestuft werden, dürfen Kurden genannt werden. Sie heißen „türkische Bürger“, oder „unsere Bürger, die von separatistischen Kreisen Kurden genannt werden“.  Dies ist übrigens der einzige Fall, in dem das Wort „separatistisch“ Verwendung findet. Nach den Anweisungen aus Ankara ist es ab sofort durch den Begriff „terroristisch“ zu ersetzen.
Falls „Apo“ Öcalan während des Prozesses einen Friedensaufruf an die Guerillas der PKK richten sollte, dann würde sich dieser Sachverhalt bei TRT so anhören: „Der Terrorist Öcalan hat die Banditen der blutigen Terror-Organisation zu einer vorübergehenden Einstellung der terroristischen Aktivitäten aufgerufen“ – die Sprachpolizei totalitärer Regime läßt grüßen. Noch nicht einmal die unverfängliche geographische Bezeichnung „Südosten“ hat Bestand, mit der bislang die kurdisch besiedelten Gebiete der Türkei umschrieben wurden. Nach dem Ukas aus Ankara handelt es sich nunmehr um „unsere Bürger im Osten der Türkei“.
Die Sprachreiniger haben sogar an die Kurden im Nachbarstaat Irak gedacht. Obwohl irakische Kurden gemeinsam mit den türkischen Streitkräften gegen die PKK kämpfen, verlieren auch sie in den türkischen Medien ihre kurdische Identität. Aus den Peschmerga-Kämpfern des kurdischen Clanführers Massud Barsani beispielsweise werden die „Nord-Iraker des nord-irakischen Clanchefs Barsani“.
Barsani ist es auch, der in den nominell unter amerikanischem Schutz stehenden autonomen Kurdengebieten rings um Mossul und Arbil die Fundamente für einen kurdischen Staat zu legen versucht. Doch weil man in Ankara nichts so sehr fürchtet wie kurdische Autonomie irgendwo auf der Welt, hat man sich für die Schutzzone nördlich des 36. Breitengrades einen besonders schwerfälligen Namen ausgedacht, der aber den Vorteil besitzt, ohne irritierende Reizwörter auszukommen: „Das im Nord-Irak Entstehende.“ Vorgeblich dient die Liste der verbotenen Wörter einer „Vereinheitlichung der Begriffe“. Viel wichtiger aber ist, daß „im Hinblick auf spätere Ereignisse“ – gemeint ist der Öcalan-Prozeß – eine „Diskussion verhindert“ werden soll. Das Kalkül ist einfach: Wenn man alle Kurden kurzerhand als Terroristen kriminalisiert, gibt es auch keine Kurdenfrage, über die man nachdenken müßte. So einfach das Kalkül ist, so kurzsichtig ist es. Es ging schon damals nicht auf, als man die Kurden noch offiziell Bergtürken nannte. Wolfgang Koydl