DER STANDARD 20. Mai 1999

Harold Pinter über "Banditen und Mörder"
Der britische Dramatiker läßt mit scharfer Kritik am Jugoslawien-Einsatz der Nato aufhorchen:

Der Nato-Krieg ist eine Aktion von Banditen, ausgeführt, ohne die Folgen ernsthaft zu bedenken, konfus, unbesonnen, schlecht kalkuliert, ein Akt bedauernswerter Kraftmeierei. Und doch sind die Briten laut Umfragen für den Krieg. Sie glauben, wir hätten die moralische Pflicht und Autorität zu intervenieren.
Was ist moralische Autorität? Woher kommt sie? Woher nimmt man sie? Wer hat sie einem verliehen? Wie ist es möglich, andere zu überzeugen, daß man sie hat? Wenn man die Macht hat, braucht man sich nicht darum zu kümmern. Bomben und Macht. Das nennt sich moralische Autorität.

Sündenfall des Westens
Bis zu dem Zeitpunkt, als der Westen begann, mit der Kosovo-Befreiungsarmee zu verhandeln und damit die moralische Autorität ihres Aufstandes anerkannte, war die Zahl der Menschen, die im Kosovo durch politische Gewalt starben, geringer als in den vorhergehenden zehn Jahren in Nordirland. Man stelle sich das vor.
Im Gegensatz zu den üblichen Beschuldigungen ist Präsident Milosevic kein allmächtiger Tyrann. Es ist ihm gelungen an der Macht zu bleiben, weil er nach einer verlorenen Wahl mit den harten Männern der Opposition, wie Seselj, einen Pakt schloß. Die Säuberungen im Kosovo waren der Preis, den er zahlen mußte. Aber die bombenverliebte Nato begann mit Waffen um sich zu werfen. Tausende kosovarische Flüchtlinge, televisuelle Opfer, strömten über die Grenzen und auf unsere TV-Schirme. Anfangs waren weniger als die Hälfte der Briten für die Nato-Intervention. Jetzt führen Blair und Kumpane einen Krieg, den die Bevölkerung unterstützt. Niemand stellt in Frage, daß die Kosovaren brutal vertrieben wurden. Es fragt aber auch niemand, ob die Bomben mit Verantwortung geworfen werden (soweit das überhaupt möglich ist). Die Nato macht ausschließlich die Serben für den Exodus verantwortlich und geht mit der Wahrheit zynisch um.
Das ungenaue Bild der Serben macht ihre Dämonisierung erst möglich. Es ist an der Zeit, die wiederholten Verzerrungen, Desinformationen und schiere Ignoranz der (britischen) Regierung - um die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen - zu demaskieren. Minister tun so, als ob die Serben selbst "schuld sind" an der Bombardierung, weil sie Milosevic unterstützen. Tatsache ist, daß Milosevic bei den letzten Wahlen im Herbst 1996 unterlegen ist. Das sinnlose Bombardieren des Volkes, statt rein militärischer Ziele, hat die Opposition verbittert und außer Gefecht gesetzt, so daß Milosevic seine schwache Machtposition festigen konnte.
Das Glaubensritual der Regierung lautet: Wir sagen die Wahrheit, sie lügen. Immer wieder ist davon die Rede, wir hätten es mit einer Wiederholung des Holocaust zu tun, Milosevic sei ein Hitler. Die Züge, in die ethnische Albaner gewaltsam verfrachtet wurden, haben nicht in Gaskammern geführt, sondern nach Mazedonien. Ich verstehe nicht, wie jemand ethnische Säuberungen, die Vertreibung von Menschen aus einer Region, mit der Auslöschung einer Menschengruppe gleichsetzen kann.
Nachdem sie die UNO und die Prinzipien des Völkerrechts mißachtet haben, beanspruchen die "19 demokratischen Nationen" (so bezeichnet sich die Nato fälschlich) die moralische Autorität, aus humanitären Gründen zu intervenieren. Dabei vergessen sie, wie es ums eigene Leumundszeugnis steht. Schauen wir uns die Leistungen eines Nato-Landes, der demokratischen Türkei, an: 1,4 Millionen Kurden wurden gesäubert, nach weitaus brutaleren Repressionen als im Kosovo, mit Bombardierung der eigenen Zivilbevölkerung.
Das sind Fakten, über die es sich nachzudenken lohnt. Wir werden begreifen, daß Blair einen scheinheiligen Kreuzzug führt, mit einer schillernden Moral, die im Grunde völlig hohl ist. Wenn wir nicht aufhören, heuchlerisch nur Milosevic aufs Korn zu nehmen, riskieren wir einen globalen Dauerkriegszustand. Wie Hechte im Teich der Humanität werden die Herren Blair und Clinton immer wieder häßliche, kleine Karpfen verschlingen. Aber bitte, nur keinen größeren Fisch wie die Türkei oder China! Dann müßten wir wirklich damit anfangen, selbst in den Spiegel zu sehen.
Harold Pinter, 69, mit Theaterstücken wie "Der Hausmeister" bekannt geworden, spielt im Kosovokonflikt in England eine ähnliche Rolle wie Peter Handke im deutschsprachigen Raum. Hier die gekürzte Version eines Beitrags im Londoner "Telegraph".