Frankfurter Rundschau 19.5.99

Grob schubst die Polizistin ihn gegen die Wand
Eine Reise wie keine andere: Eine Stunde in der Haut des Asylbewerber Bedrettin, eines 20jähriger Kurden

Von Jakob Jung, Michael Wichmann und Falko Westenberger
Durch dreckige, zerschlagene Fensterscheiben fällt Licht auf den Boden, der staubig ist. Wir atmen Luft, die trocken und kalt ist. Von den teilweise mit Graffiti bemalten Wänden bröckelt der Putz. Hier beginnt die "Reise wie keine andere": die Ausstellung "Unerwünscht". Die Szenerie war bereits 1995 in Brüssel zu sehen, 1997 in Rom und 1998 in Paris: ein Flüchtlingslager, ein Grenzübergang, eine halbzerbombte Stadt.
Die Reise beginnt: Alle 15 Minuten wird eine Gruppe von zehn bis 25 Personen hineingelassen. Ein Mann, der sich uns als Heinz vorstellt, steht vor einem Haufen Koffer. Einen hält er in der Hand. Heinz fragt uns, was wir mitnehmen würden, müßten wir aus unserer Heimat plötzlich ausreisen. In seinem Koffer, sagt Heinz, sei Hoffnung. Und wer durch die Ausstellung durchkommen wolle, müsse viel Hoffnung haben.
Danach weist uns ein Mann im roten Overall ein. Wir sehen uns Steckbriefe und kurze Lebensgeschichten von bestimmten Asylbewerbern an und werden aufgefordert, eins dieser Schicksale auszuwählen. Da man auch als Gruppe einen Charakter übernehmen kann, werden wir zu dritt zu Bedrettin, einem 20jährigen kurdischen Verkäufer, geboren in Mykdan in der Türkei.
Wir gehen zum Paßamt, einem Schalter, an dem zwei Männer und eine Frau arbeiten. Die Frau fragt uns nach unserem Namen. Nachdem wir ihr geantwortet haben, klebt sie uns orangefarbene Punkte auf die Stirn und schickt uns zum Beamten neben sich. Der gibt uns die Pässe und fordert uns unwirsch auf, die Formulare auszufüllen. Dann klebt er ein Foto ein und stempelt den Paß ab.
Wir denken gerade noch, daß alle hier recht gute Schauspieler sind, als uns eine Frau, die eine Uniform trägt, anbrüllt. Wir sollen ihr unsere Pässe zeigen. Obwohl sie mindestens einen Kopf kleiner ist als wir, läßt sie sich nicht aus dem Konzept bringen. Während sie unsere Papiere kontrolliert, beobachten wir, daß weitere Uniformierte anderen Besuchern mit Schlägen drohen und sie anherrschen, sie gefälligst anzusehen.
Die kleine Soldatin blickt uns scharf an und fragt uns, ob wir wüßten daß unser Onkel für die PKK tätig ist. Wir antworten mit gespieltem Erstaunen:
"Ach, da ist unser Onkel..." und unterdrücken eine noch frechere Antwort.
Die Frau verdächtigt uns daraufhin, daß wir selbst der PKK angehören.  Wir streiten dies erstaunt ab, worauf sie mißtrauisch wird und befiehlt, so schnell wie möglich aus dem Land zu verschwinden. Also begeben wir uns zu einem "Wegweiser".
Diese Wegweiser enthalten Berichte über das, was Bedrettin passiert, da ihm teilweise Dinge widerfahren, die man dem Besucher nicht zumuten kann. So ist beispielsweise beschrieben, daß Bedrettins Onkel, der als Untermieter bei seinem Bruder, unserm Vater, lebt, eines Tages verschwindet. Danach wird Bedrettin von der türkischen Geheimpolizei entführt, befragt und während des Verhörs geschlagen. Bedrettins Familie ist der Meinung, daß er das Land sofort verlassen muß. Er reist auf illegalem Wege nach Deutschland ein...
Wir kommen also in "Deutschland" an, wo wir bei der Behörde für Anerkennung von Flüchtlingen Kirchenasyl beantragen. Auf weiteren Wegweisern steht, daß Bedrettin Kirchenasyl gewährt wird und daß er als Schwarzarbeiter sein Geld verdient. Nachdem wir das gelesen haben, begeben wir uns zur Behörde, wo uns mitgeteilt wird, daß unser regulärer Asylantrag abgelehnt wurde. Erklärt wird uns das nicht. Also begreifen wir auch nicht, warum wir wieder weg müssen.
Wir werden von einer Polizistin in Abschiebehaft gesteckt. Grob schubst sie uns gegen die Wand, wo sie uns durchsucht. Etwas gelangweilt wirft sie uns vor, illegal eingereist zu sein und Schwarzarbeit geleistet zu haben.  Nachdem sie uns informiert hat, daß wir abgeschoben werden, reißt sie einem von uns den Rucksack herunter und durchwühlt ihn. Danach läßt sie uns einige Zeit an die Wand gelehnt stehen. Die Zelle ist ein unwirtlicher Ort: eine Bank, eine verdreckte Toilette. Nachdem sich die Polizistin um die anderen Gefangenen gekümmert hat, fordert sie uns auf zu verschwinden.
Der letzte Raum der Ausstellung ist weiß und darin ist zu lesen, was aus den verschiedenen Charakteren geworden ist. Bedrettin wurde abgeschoben. Aus Angst vor den türkischen Sicherheitskräften hat er sich nicht gewehrt.
Ziehenschule, Frankfurt am Main