junge Welt 11.05.1999

Recht oder Moral?
Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien entbehrt jeder juristischen Grundlage.

Von Uwe-Jens Heuer
Deutschland führt wieder Krieg. Bei den Kriegsgegnern nehmen Wut, Erregung, aber auch das Gefühl von Ohnmacht zu. Es wächst der Wunsch nach einer objektiven Analyse, die Ausgangspunkt für eigenes Handeln sein kann. Die NATO hat am 24. März l999 Jugoslawien, einen souveränen, ebenfalls der UNO angehörenden Staat, mit militärischen Mitteln, also mit Gewalt, angegriffen. Gemäß Artikel 2 Punkt 4 der Charta der Vereinten Nationen vom 26. 6. 1945 haben alle Mitglieder »jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt« zu unterlassen. Von diesem Verbot gibt es gemäß Kap. VII der Charta nur zwei Ausnahmen. Erstens kann der Sicherheitsrat - und nur er - feststellen, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt und dann entsprechende Maßnahmen bis hin zu militärischen Sanktionen ergreifen (Art. 39 ff). Zweitens hat jeder Staat bei einem bewaffneten Angriff auf ein Mitglied der Vereinten Nationen das Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung. Entsprechende Maßnahmen sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen. (Art. 54). Ein Angriff Jugoslawiens auf einen der NATO-Staaten lag nicht vor und wurde dementsprechend auch nicht angezeigt.
Das Verbot des Angriffskrieges durch die UN-Charta ist ein (Foto: Eisenbahnbrücke über die Save nach chirurgischer Operation auf NATO-Art) zentraler Bestandteil des antifaschistischen Völkerrechts der Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg.
Verschiedentlich wurde - gerade auch in letzter Zeit - die Tatsache kritisiert, daß die Entscheidung über die Anwendung von Gewalt zwischen Staaten vom Weltsicherheitsrat gefällt wird und insbesondere, daß dabei die Einstimmigkeit von fünf Staaten der Anti-Hitler-Koalition verlangt wird (das sogenannte Vetorecht). Diese Stellung ergab sich aus den Machtverhältnissen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie wurde später abgestützt durch die entsprechenden militärischen Potentiale, insbesondere das atomare Patt. Wie jede rechtliche Regelung spiegelte sie ein bestimmtes Kräfteverhältnis wider und sicherte in erheblichem Maße die Konfliktlösung. Sie schloß ein Vorgehen gegen eine der beiden Weltmächte aus.
Ist ein Krieg zur Durchsetzung von Menschenrechten in einem anderen Staat zulässig? Auch die Menschenrechte wurden international erstmalig in der UN-Charta verankert, in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 von der Vollversammlung beschlossen und dann mit zwei internationalen Pakten 1966 rechtsverbindlich gemacht. Die Staaten sind zu ihrer Einhaltung verpflichtet. Hier ist noch außerordentlich viel zu tun. Allerdings ist es nicht zulässig, die völkerrechtlich verbindlichen Menschenrechte aus dem Bestand des Völkerrechts herauszulösen, insbesondere dem Gewaltverbot entgegenzusetzen. Ihre Verwirklichung ist in erster Linie Verpflichtung des einzelnen Staates. Die anderen Staaten sowie die Vereinten Nationen können es von ihm verlangen und auch zivile Mittel bis hin zu Sanktionen verwenden. Militärische Gewalt aber gehört nicht zu ihnen, zumal sie in der Regel mehr an Menschenrechten zerstört als sichert. Deshalb darf auch das Entscheidungsmonopol des Sicherheitsrates nicht angetastet werden. Anderenfalls wäre der Zustand von vor l945 - des jus ad bellum - wiederhergestellt, nur diesmal unter der Flagge der Menschenrechtsverteidigung.

Gespenstische Debatte
Der Angriffskrieg ist und bleibt das schwerste völkerrechtliche Verbrechen. Der NATO-Vertrag nimmt ausdrücklich auf die UN- Charta Bezug. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag von l990 heißt es am Ende: »Die Regierungen der BRD und der DDR erklären, daß das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.« Das Grundgesetz endlich erklärt ausdrücklich im Artikel 26: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig.« Es war schon gespenstisch, daß diese Rechtslage in der Vorbereitung der verhängnisvollen Entscheidung des Bundestages am 16. Oktober 1998 überhaupt nicht ernsthaft diskutiert wurde. Den Mitgliedern des Rechtsausschusses, der übrigens noch gar keinen Auftrag vom Bundestag hatte, war noch am Vortag ausgesprochen unwohl. Staatssekretär Funke sprach von außergewöhnlichen Umständen, von rechtlicher Umstrittenheit, die humanitäre Intervention sei im Entstehen begriffenes Völkerrecht. Der Vertreter des Justizministeriums sprach von einem ganz speziellen Ausnahmefall, vom Unvermögen des Sicherheitsrates, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Die Sicherheitsratsresolution 11999, in der von militärischen Sanktionen eben nicht die Rede war, sei keine eigenständige Ermächtigung, wohl aber ein wesentlicher Baustein. Frau von Renesse von der SPD sprach von einem internationalen Nothilferecht. In der Bundestagsdebatte des folgenden Tages berief sich der Noch-Außenminister Kinkel vor allem darauf, daß unsere Partner sich auf uns verlassen können. Auch er erklärte, daß dieser Beschluß nicht zum Präzedenzfall werden dürfe. Gerhard Schröder verwies auf Bedenken vieler Kollegen zur Rechtsgrundlage, ihm sei ein neues Mandat lieber gewesen. Auch für Schäuble war ein klares Mandat besser, aber auch ohne das wären wir zum Handeln gezwungen. Man müsse auch an das denken, was morgen anstehen kann. Nur Kurt Neumann, Gregor Gysi, Burkhard Hirsch und ich (beide in persönlichen Erklärungen) wandten uns klipp und klar gegen die Völkerrechtswidrigkeit der Bundestagsentscheidung. Ich wies den Außenminister hin auf einen Artikel von Prof. Fastenrath in der FAZ vom gleichen Tag unter der eindeutigen Überschrift »Es wird ein Präzedenzfall geschaffen«. Es werde auf den Zustand vor der Gründung der UNO zurückgegangen, auf das Faustrecht. Das geltende, sicher unvollkommene Völkerrecht soll nicht durch ein verbessertes Völkerrecht ersetzt werden, sondern durch das Faustrecht des Stärkeren. In der Folgezeit ist kaum noch von den juristischen Grundlagen die Rede. Am 26. März erklärte Wolfgang Schäuble im Bundestag; »Es ist nicht die Zeit für verfassungsrechtliche Rabulistik«. Für Gerhard Schröder ist der Krieg gegen Jugoslawien nicht weniger als eine neue Seite der Weltgeschichte, es ginge um den Gründungskonsens für ein Europa der Menschen und der Menschenrechte. In der Bundestagsdebatte vom 15. April 1999 hatte er sogar behauptet, daß der Anlaß für dieses Zusammenstehen in der EU, also der (Foto: Schröder und Fischer am 9. Oktober 1998 in Washington - vermutlich schon zum Empfang der Kriegsbefehle) Angriffskrieg, »die Werte und die Grundorientierungen der Europäer, des europäischen Zivilisationsmodells berührt.« Die neue Regierung steht auch hier durchaus in Kontinuität. Bereits am 19. Juni 1998 hatte der damalige Verteidigungsminister Rühe erklärt: » Der Königsweg ist der Weg über den UN- Sicherheitsrat. Aber was machen Sie, wenn Sie dort kein Ergebnis bekommen ... Wir handeln auf einer gesicherten Rechtsgrundlage.«. Hier tritt etwas zutage, das man nur als rechtsnihilistisch charakterisieren kann. Nicht zuletzt die Erfahrungen der DDR haben mich gelehrt, gegenüber jedem Angriff auf das positive Recht im Namen höherer Werte, »der Geschichte«, der Politik, der Gerechtigkeit mißtrauisch zu sein. In der DDR gab es immer wieder das Bestreben, unter Berufung auf die von der Geschichte legitimierte »Parteilichkeit« die Einhaltung des positiven Rechts in Frage zu stellen. Ich habe die Position der Einhaltung des geltenden Rechts nachdrücklich verteidigt, weil sie in meinen Augen für sozialistische Demokratie und Gesetzlichkeit unverzichtbar war: »Jede andere Position würde neben das geltende Recht ein zweites, drittes, viertes Recht stellen, das sich auf objektive Gesetze, Ergebnisse der Wissenschaft, Vorstellungen der Massen oder Parteibeschlüsse berufen könnte.« Bundesdeutsche Juristen haben mit Recht mangelnde Rechtsstaatlichkeit in der DDR kritisiert, doch wie heute, besonders auf dem Gebiet des Völkerrechts, aber auch innerstaatlich, ausgehend von der Behandlung Ostdeutschlands, mit der Rechtsstaatlichkeit umgegangen wird, ist erschreckend.
»Vielsagend ist,« schrieb Volker Zastrow am 19. April in der FAZ, »daß die PDS sich in ihrer Argumentation, die in den neuen Bundesländern weithin auf fruchtbaren Boden fällt, wiederum legalistischer Argumentationsmuster bedient. Die Angriffe der NATO seien, da nicht einstimmig vom Sicherheitsrat beschlossen, völkerrechtswidrig ... Dasselbe Modell wendet die PDS auch auf die justizförmige Vergangenheitsbewältigung des staatlich induzierten Unrechts in der DDR an. Hier argumentiert sie mit dem rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbot. In beiden Fällen soll das Recht aber nur instrumentalisiert werden, um Rechtsbrecher und Rechtlichkeitsverächter vor Strafe oder Gegenmacht zu schützen.« Ich hatte bisher stets angenommen, daß sich jeder auf die Rechte berufen kann, die er hat, unabhängig davon, ob er ein Guter oder ein Böser ist. Gerade darin besteht die zivilisatorische Bedeutung des Rechts, übrigens im Unterschied zur Moral. Was aber tritt nun an die Stelle der völkerrechtlichen Legitimation? Wer entscheidet denn nun über Krieg und Frieden und nach welchen Maßstäben? An die Stelle des rechtlichen Maßstab des Völkerrechts tritt in der Argumentation der Politiker, der Massenmedien die moralische Empörung. Unablässig ist von Greueln, von Verbrechen, von Hunderten von Massakern, von zahllosen Massengräbern, ja von Völkermord die Rede. Pazifismus wird als abstrakt, platt, Pazifisten werden als gesinnungsethische Illusionisten abgestempelt. Einmal wird Jugoslawien vorgeworfen, daß es die Menschen vertreibe, dann wieder, daß es sie zurückhalte. Abwechselnd lautet der Sprachgebrauch Flucht, Vertreibung, Deportation. Besonders Rudolf Scharping tut sich mit allgemeinen Behauptungen hervor. Er spricht von Konzentrationslagern ohne den Schatten eines Beweises. Je linker die Vergangenheit, desto schärfer die Tonart. Am 15. April warf Joseph Fischer Gregor Gysi im Bundestag wegen seines Gesprächs mit Milosevic vor, er mache sich »zum Weißwäscher der Politik eines neuen Faschismus«. Fischer sieht sich folgerichtig in der Rolle der spanischen Widerstandskämpferin >La Pasionaria<: »Wir führen keinen Krieg, wir leisten Widerstand ... die Faschisten kommen nicht durch«. Eine ungeheure moralisch-propagandistische Welle ergießt sich über das Land, in die sich wenig kritische Stimmen mischen. Man muß deshalb wohl Schröders Behauptung: »Demokratien verfügen nun mal nicht über die Propagandamaschinen von Diktaturen« in Frage stellen. Allerdings wachsen die Zweifel an der Wirksamkeit der Propaganda, werden Stimmen gegen Manipulierung laut. Kein Zweifel, in Kosovo tobt ein Bürgerkrieg, ein Bürgerkrieg mit einer langen Geschichte. Es werden schlimme Untaten begangen. Gregor Gysi hat auf systematische Vertreibungen von Kossovo-Albanern durch jugoslawische Armee und Polizei in den Grenzregionen, aber nicht nur dort, hingewiesen. Die Logik des Krieges und erst recht eines Bürgerkrieges führt zu immer härteren Aktionen, die ihrerseits entsprechende Antworten auslösen.

Angeheizter Nationalismus
Durch den NATO-Krieg jedenfalls ist keine Milderung erfolgt, der Nationalismus aller Beteiligten nur angeheizt worden. Dabei wird zwischen gutem und bösem Nationalismus unterschieden. Ein Großserbien ist schlimm, das war es übrigens schon 1876, ein Großkroatien, ein Großalbanien sind schon etwas anderes. Offenbahr ist die moralische Bewertung, da sie selektiv und von den verschiedensten Positionen vorgenommen wird, nicht in der Lage, die geltende, wenn auch unvollkommene völkerrechtliche Regelung zu ersetzen. Daniela Dahn schreibt in der Berliner Zeitung, daß es außerordentlich gefährlich sei, »wenn Vernunft durch Moral ersetzt wird. Also Gesetze, Charten, Verträge, Verfassungen, Statuten durch Empörung. Denn die Moral ist ein Ding, das per Definitionshoheit immer auf der eigenen Seite ist. Ausnahmslos alle Kriege haben mit einer moralischen Argumentation begonnen.« 1914 wurden die Sozialdemokraten mit der Abwehr des »blutbefleckten russischen Despotismus« (Haase) zur Zustimmung zu den Kriegskrediten bewogen, Hitler argumentierte l939 mit den Leiden der Sudetendeutschen und dann mit polnischem Amoklauf gegen Frieden und Recht in Europa, flüchtenden Familien, brennenden Bauernhöfen, allgemeinem Chaos in Polen. Er erklärte in seinem Kriegsaufruf an die Wehrmacht am 1. September 1939: »Die Deutschen in Polen werden mit blutigem Terror verfolgt, von Haus und Hof vertrieben.« Es gäbe unerträgliche Grenzverletzungen. »Um diesem wahnwitzigen Treiben ein Ende zu bereiten, bleibt kein anderes Mittel, als von jetzt ab Gewalt gegen Gewalt zu setzen«. Deswegen halte ich es auch für falsch, wenn wirkliche oder vermeintliche Verbrechen dem verbrecherischen Angriffskrieg gleichsam gleichwertig gegenübergestellt werden, schon gar, wenn diese Verbrechen nach Beginn des Krieges begangen wurden. Wenn man dann wie André Brie von zwei Übeln spricht, zwischen denen die SPD nur eine anderen Wahl trifft als die PDS, dann ist der Weg nicht weit, wie Helmut Holter zuerst die Beendigung der Vertreibungen als Voraussetzung für die Einstellung des NATO- Krieges zu fordern. In der herrschenden öffentlichen Meinung und - wie zu befürchten ist - bei einem großen Teil der Bevölkerung ist das Verständnis für die Notwendigkeit der Einhaltung der völkerrechtlichen Ordnung, vor allem der Charta der Vereinten Nationen, für den verbrecherischen Charakter des Angriffskrieges verloren gegangen. Der Krieg der Bilder, die absolute Diskreditierung und bedingungslose moralische Verurteilung einer Seite hat weitgehend obsiegt. Es bleibt die Frage, wer an dieser Entwicklung ein Interesse hat, welche neue Seite der Geschichte, um mit Gerhard Schröder zu sprechen, hier tatsächlich aufgeschlagen wird.
»Tributpflichtige Vasallen«
Es ist gegenwärtig viel vom Versagen der NATO die Rede. Theo Sommer schreibt: »Die Zwischenbilanz nach zwei Wochen massiver Einsätze deprimiert: Das Bündnis hat den Konflikt miserabel vorbereitet und führt ihn militärisch ohne Fortüne, jedenfalls ohne den schnellen Erfolg, den manche erhofft hatten.« Lothar Bisky erklärt, daß bisher der Krieg nur die Interessen des Milocevic-Regimes bedient hätte. »Nach diesem Stand hat die NATO den Krieg verloren - und weil sie das nicht eingestehen will, verlängert sie den Krieg über den Zeitpunkt der Niederlage hinaus.« Gleichzeitig erfahren wir allerdings, daß schon im Oktober vorigen Jahres Schröder und Fischer wußten, welches die Ziele der Amerikaner waren: »Die Amis wollen den Krieg«. Immer mehr ist vom unausweichlichen Bodenkrieg die Rede, den die Militärs schon immer gefordert (und sicher auch geplant) hatten. Schon werden Apache-Hubschrauber nach Albanien geschickt, ebenfalls USA-Soldaten, deutsche werden folgen, die weitere Aufrüstung der UCK steht bevor. Vielleicht sollen auch die Kroaten eingreifen, wie einst in der Krajina. Woraus eigentlich sollen wir schließen, daß es weitergehende Zielvorstellungen nicht schon länger gibt? Es kann doch unterstellt werden, daß ein sofort in Angriff genommener Bodenkrieg weder bei den Parlamenten noch bei der Bevölkerung auf Einverständnis gestoßen wäre. Was soll es denn anderes heißen, wenn immer von neuen Phasen gesprochen wird? Die Ziele der NATO, vor allem aber ihrer Führungsmacht, den USA, müssen wir an anderer Stelle suchen. Die deutlichste geostrategisch-militärpolitisch begründete Argumentation für die amerikanische Hegemonie lieferte Zbigniew Brzezinski in seinem Buch »Die einzige Weltmacht«. Diese Stellung beruhe darauf, daß der gesamte eurasische Kontinent »von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersät« sei. Zugleich beruhe die imperiale Macht »in hohem Maße auf der überlegenen Organisation und auf der Fähigkeit, riesige wirtschaftliche und technologische Ressourcen umgehend für militärische Zwecke einzusetzen, auf dem nicht genauer bestimmbaren, aber erheblichen kulturellen Reiz des amerikanischen way of life sowie auf der Dynamik und dem ihr innewohnenden Wettbewerbsgeist der Führungskräfte in Gesellschaft und Politik«. Die drei Imperative imperialer Geostrategie seien, »Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, daß die >Barbarenvölker< sich nicht zusammenschließen«. Speziell für Rußland wird dabei besonderer Wert auf einen künftigen NATO- Beitritt der Ukraine gelegt. Von einer solchen Strategie her ist das Vorgehen der USA durchaus verständlich. Aus ihr ergibt sich auch zwangsläufig, daß nur solche bewaffneten Erhebungen unterstützt werden, die in dieses Konzept passen, also eben nicht die Palästinenser oder Kurden, sondern die Kosovo-Albaner. Die Auswahl erscheint nur dann willkürlich, wenn man nicht die Interessen der USA in Betracht zieht. »Schurken sind die Länder mit schlechten Beziehungen zu den USA«, lautete die Überschrift eines Artikels über die neue USA-Militärdoktrin. Dabei sind auch weitergreifende Ziele einbegriffen. Europa, so erklärte Clinton bei seiner Begründung des Krieges, werde von den USA als Partner gebraucht, es sei der Schlüssel zu einer langfristig starken US- Wirtschaft und für die Chancen des Landes, seine Waren weltweit ungehindert zu vertreiben. Gleichzeitig soll Europa, das heißt die EU, der US-amerikanischen Vorherrschaft unterworfen, soll Rußland eingebunden, also untergeordnet und zugleich als »Papiertiger« gedemütigt werden. Geht es in Jugoslawien nicht um Öl, so doch in Kasachstan, das heute schon ökonomisch und bald auch politisch zur US-amerikanischen Einflußsphäre gehören soll. Fern am Zeithorizont wird schon das Problem China sichtbar. Diese Strategie hat auf die Probleme der heutigen Welt eine Hauptantwort, den Einsatz von Krisenreaktionsstreitkräften, und kann das bestehende Völkerrechtsystem, kann die Dominanz der UNO nicht akzeptieren. Sein Abbau war vorgedacht im Konzept der humanitären Intervention.
Der Kampf für die Verteidigung und den Ausbau der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Völkerrechtsordnung ist der Form nach ein Kampf für die Verteidigung des Rechts. Seinem Inhalt nach ist es ein Kampf für die Beendigung der Ausbeutung und Unterdrückung der Mehrheit der Erdbevölkerung. Ein Zivilisationsmodell, das auf den Trümmern des Völkerrechts und der Ausbeutung und Unterdrückung der Mehrheit beruht, wird keinen Bestand haben, Es wird längst nicht das Alter des römischen Weltreichs erreichen, aber vielleicht vorher die ganze Menschheit in den Abgrund reißen. Der Preis für das Scheitern einer Alternative zur heutigen Gesellschaft ist Finsternis (Hobsbawm).