Baseler Zeitung 11.5.99

Ilisu: Protest von Syrien und Jordanien

Von Jan Keetman, Istanbul
Das umstrittene Projekt eines Staudammes bei Ilisu am Tigris hat zu internationalen Spannungen geführt. Ende letzte Woche protestierten Syrien und Jordanien beim britischen Aussenministerium gegen die Beteiligung der britischen Firma Balfour Beattie am Bau des Staudammes. Jordanien protestierte gegen das türkische Staudammprojekt im Namen des Irak, der zur Zeit keine diplomatischen Beziehungen mit Grossbritannien hat.
Mit dem Bau des Staudammes ohne vorherige Konsultationen verstosse die Türkei direkt gegen einen 1946 mit dem Irak geschlossenen Vertrag, heisst es in der Erklärung Jordaniens.
Ausserdem wird ausgeführt, dass der von der Türkei nach Syrien und dem Irak fliessende Strom wegen der mit dem Staudammprojekt verbundenen Bewässerungsprojekte mit «Agrochemikalien und Pestiziden» verunreinigt werde. «Millionen Iraker werden ihres Rechtes auf klares Wasser beraubt.» Kriegsgefahr
Unterstützung erhielten die arabischen Diplomaten vom UK Defence Forum, einer Beratergruppe, welche die Regierung in internationalen strategischen Problemen berät.  Das Forum warnte davor, dass der Bau des Staudammes zu einem Krieg Syriens und des Irak gegen die Türkei führen könne, in dem dann die Nato, also auch Grossbritannien, gezwungen wären auf türkischer Seite einzugreifen.
Das Projekt, an dem auch die Sulzer Hydro AG und ABB sowie die UBS beteiligt sind, wird auch von Schweizer Hilfswerken heftig kritisiert.  Im Vordergrund dieser Kritik steht die Überflutung von 52 Dörfern und 15 Kleinstädten, darunter des kulturgeschichtlich einzigartigen Ortes Hasankeyf.
Vielfach wird auch darauf hingewiesen, dass die Weltbank sich 1984 aus der Finanzierung der türkischen Staudammprojekte im Südosten des Landes bei Beginn der unter dem Oberbegriff «Südostanatolienprojekt» (GAP) geführten Projekte zurückgezogen hat.

Zeitplan in Frage gestellt
Von den 33 Mrd. Dollar zum Bau von 22 Staudämmen, 19 Kraftwerken und zahlreichen weiteren Vorhaben wie Bewässerung und Infrastruktur sind erst 13,2 Mrd. Dollar ausgegeben worden, so dass der geplante Abschluss im Jahr 2010 fraglich ist. Dass die Energie-Projekte im Rahmen von GAP zu 60% fertiggestellt sind, hat zu keiner spürbaren Verbesserung der durch häufige Ausfälle geprägten Stromversorgung in der Türkei geführt.
Dies ist kein Wunder, denn nach Schätzung der Kammer der türkischen Elektroingenieure gehen 30% der Energie in dem veralteten türkischen Stromnetz verloren, während der internationale Standard bei 6 bis 6,5% liege.  Besonders hoch sind die Verluste bei dem mit GAP erzeugten Strom, da er zum grössten Teil über weite Entfernungen nach Westen geleitet wird. Aber auch in Nachbarregionen von GAP wie in Diyarbakir sind auf Grund des veralteten Netzes Stromausfälle häufig.

Syrien unterstützt PKK
Einen direkten Zusammenhang gibt es auch zwischen dem türkischen GAP-Projekt und der Unterstützung der PKK durch Staaten der Region. Es ist auffallend, dass die PKK ihren bewaffneten Kampf 1984 beginnen konnte, in dem gleichen Jahr in dem die Türkei mit der Realisierung von GAP begann. Syrien, dessen Wasser und Stromversorgung durch GAP beeinträchtigt wird, war lange Zeit der Hauptunterstützer der PKK. Nachdem im vergangenen Herbst die Türkei Syrien durch eine Kriegsdrohung dazu veranlasste, den PKK-Führer Abdullah Öcalan zur Ausreise zu zwingen, ist die syrische Unterstützung der PKK so gut wie abgeschnitten.  Die Türkei beschuldigt nun Iran und den irakischen Kurdenführer Djelal Talabani, in die Bresche gesprun- gen zu sein. Das Festhalten an GAP könnte nun Syrien und auch den Irak dazu bewegen, die PKK erneut als Waffe gegen den Nachbarn im Norden einzusetzen.