Neue Zürcher Zeitung 04.05.1999

Missmut der nordirakischen Kurden
Klagen über wirtschaftliche Einbussen

it. Istanbul, 3. Mai
Das von Washington initiierte Treffen der sieben wichtigsten irakischen Oppositionsparteien vor zwei Wochen in London hat die amerikanischen Irak-Koordinatoren dazu verleitet, von einer «Wiedergeburt der irakischen Opposition» zu sprechen. Die Kommentare aus dem kurdischen Nordirak hören sich weit weniger optimistisch an. Der Kurdenchef Talabani hat die amerikanische Irak-Politik «illusorisch» genannt. Diese ziele hauptsächlich auf eine Palastrevolution gegen Saddam Hussein ab. Der Führer der Demokratischen Partei Kurdistans, Massud Barzani, zeigte sich enttäuscht über Washingtons Hilfezusagen. Der amerikanische Kongress hatte im Rahmen der Irak Liberation Act der irakischen Opposition 97 Millionen Dollar versprochen.
Die wichtigste Einnahmequelle des kurdischen Nordiraks war lange der Handel mit Erdöl. Bagdad verkaufte den kurdischen Nordirakern billiges Dieselöl aus der Region Mossul. Die Kurden wiederum verkauften dieses türkischen Lastwagenfahrern; bis zu 10 Millionen Liter wurden täglich auf diese Weise illegal in die Türkei exportiert. Der Handel verstiess zwar gegen die Sanktionen der Uno, wurde aber von dieser wie von den Golfkriegsalliierten stillschweigend geduldet. Er brachte nämlich Barzanis Partei, die das Gebiet nördlich von Mossul kontrolliert, jährlich umgerechnet 400 Millionen Dollar ein und ermöglichte das Überleben der kurdischen Region.
Seitdem jedoch britische und amerikanische Kampfflugzeuge das erdölreiche Gebiet um Mossul wieder beinah täglich bombardieren, hat Bagdad die Erdöllieferungen in den Nordirak eingestellt. Die Einnahmen der Kurden werden dadurch schwer beeinträchtigt; die Verluste betragen ein Mehrfaches der amerikanischen Hilfezusagen. Die schweren Einbussen drohen soziale Unruhen auszulösen. Der vor wenigen Monaten zwischen Barzani und Talabani erzielte labile Frieden sei gefährdet, äusserte warnend in Ankara der zweite Mann der Demokratischen Partei Kurdistans, Netshirwan Barzani.