Aus: Kurdistan-Rundbrief, Nr. 9, Jg. 12, 5.5.1999
 

MED-TV: Empörung über Lizenzentzug

Am 23. April teilte MED-TV in einer Protesterklärung den Lizenzentzug durch ITC mit.
„MED-TV ist empört über die Entschließung der ITC, die Lizenz zu entziehen. Sowohl in schriftlichen Stellungnahmen als auch in einer Anhörung vor der Kommission am 9. April hatte MED-TV detailliert die künftigen Programm- und Nachrichtenstrukturen beschrieben, die die Kommission zufriedenstellen sollten. MED-TV war bereits bestraft durch den Entzug der Lizenz für 26 Tage. Der Entzug der Lizenz ist eine drakonische und unverhältnismäßige Sanktion, und wir werden rechtliche Schritte einleiten, um die Entscheidung anzufechten.
Die Entscheidung ist zweifellos politisch motiviert und MED-TV befürchtet, daß sie durch die Beziehungen der britischen Regierung mit ihrem NATO-Partner Türkei veranlaßt wurde, speziell in dieser Zeit.  Der Türkische Premierminister nimmt bereits den Ruhm für diese Entscheidung für sich in Anspruch. Nur der türkische Staat kann sich über diese Entscheidung freuen, eine Entscheidung, die im Widerspruch zu der in Artikel 19 der Internationalen Menschenrechtserklärung garantierten Meinungsfreiheit steht.
Wir versichern dem kurdischen Volk, daß wir in Kürze wieder den Sendebetrieb aufnehmen werden.
(MED Broadcasting Ltd., London, 23.4.99, eig. Übersetzung)


ITC: Rechtfertigungsversuche
Am gleichen Tag verbreitete die britische ITC eine Presseerklärung, in der sie ihre Entscheidung zu rechtfertigen suchte. Darin hieß es u.a.:
Die ITC entschied heute (23. April), die Lizenz des Satellitenkanals MED-TV aufzuheben. Diese Entscheidung wird in 28 Tagen gemäß den Statuten der ITC rechtswirksam. Der Sendebetrieb bleibt derweil weiter unterbrochen.
Die Lizenz von MED-TV wurde am 22. März von ITC aufgrund Sektion 45a des Broadcasting Act (Fernsehgesetz) von 1990 unterbrochen, nachdem vier Sendungen ausgestrahlt worden waren, in denen aufrührerische Aufrufe, die zu Gewalt in der Türkei und anderswo aufriefen, verbreitet worden waren. Diese Aussendungen wurden von ITC eingestuft als „geeignet, zu einem Verbrechen bzw. Vergehen zu ermuntern bzw.  anzustacheln oder zu Unruhe zu führen“. Dies verstößt gegen britische Gesetze, wie sie in den Fernsehgesetzen von 1990 und 1996 formuliert wurden.
Am 9. April hatte gemäß den Statuten von ITC ein Treffen von Vertretern von MED-TV mit Mitgliedern der Kommission stattgefunden, um den Lizenzhaltern die Möglichkeit zu geben, auf die Vorwürfe zu antworten.
Im Lichte der wiederholten Verstöße von MED-TV gegen die Statuten hatte die ITC bereits im November 1998 MED-TV informiert, daß die Lizenz entzogen werde, wenn der Sender in den nächsten sechs Monaten erneut gegen die Programmvorschriften und den Kodex von ITC verstoße.  Die Geschichte von MED-TV seit Dezember 1995 sind im Anhang zu dieser Presseerklärung beigefügt.
„Die Kommission hat sorgfältig alle ihr vorgelegten Fakten und Noten geprüft, nicht nur die von MED-TV selbst, sondern auch von anderen, die diese für MED-TV eingereicht hatten“, sagte ITC-Vorsitzender Sir Robin Biggam. „Wir haben insbesondere und wohlwollend die Umstände in Rechnung gezogen, unter denen die in Frage stehenden Sendungen erfolgten, und die Änderungen, die MED-TV für die Zukunft versprochen hatte zu treffen. Die Kommission entschied jedoch, es sei im öffentlichen Interesse notwendig, die Lizenz zu entziehen, und teilte dies dem Lizenzhalter auch mit. Welche Sympathie auch immer in Großbritannien besteht für das kurdische Volk, es ist nicht im öffentlichen Interesse, irgendwelche Fernsehsender Großbritannien als eine Plattform nutzen zu lassen, von der aus sie Menschen zu Gewalt aufrufen. MED-TV hat mehrfach Gelegenheit gehabt, eine friedfertige Stimme in unserer Gesellschaft zu sein, aber ihnen nach so schwerwiegenden Verstößen zu erlauben, weiter zu senden, würde dem Mißbrauch der Fernsehgesetze in Großbritannien durch Lizenzsender Beihilfe leisten. ...
Wir bedauern es, daß diese Aktion notwendig wurde, aber wir müssen uns an die Anforderungen halten, die das Parlament uns für unser Handeln unter solchen Umständen auferlegt hat.“
(ITC-Presseerklärung, London, 23.4.99)


Verteidigt die kurdische Presse in Europa!
Zum Entzug der Lizenz für den kurdischen Fernsehsender MED-TV durch die britische ITC und den Drohungen gegen die in Neu-Isenburg erscheinende kurdische Tageszeitung „Özgür Politika“ erklärt die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke:
Die Entscheidung der britischen Fernsehkommission ITC, die Lizenz für MED-TV endgültig aufzuheben, obwohl der kurdische Sender detaillierte Zusagen zur Verbesserung und Neustrukturierung des Sendebetriebs zugesagt hatte, mit denen künftig Verstöße gegen die ITC-Statuten vermieden werden sollten, ist eindeutig politisch motiviert. Sie ist ein Freundschaftsdienst für den NATO-Partner Türkei, dessen Militärs den kurdischen Sender schon lange stillegen wollen, damit ihre Untaten an der kurdischen Bevölkerung nicht länger im Ausland bekannt werden.
Kein anderer Fernsehsender in Europa ist jemals selbst bei gravierenden Verstößen gegen Pressegrundsätze mit Lizenzentzug bestraft worden.
Der türkische Staatspräsident Demirel hat auf dem kürzlichen NATO-Gipfel Bundeskanzler Schröder aufgefordert, auch die in Neu-Isenburg erscheinende Tageszeitung „Özgür Politika“ zu verbieten.  Ganz offensichtlich will das Regime in Ankara nicht nur die kurdische Presse im eigenen Land weiter verfolgen, sondern auch die kurdische Presse in Europa mit Hilfe der NATO-Verbündeten zum Schweigen bringen.
Schilys Ankündigung vor einigen Wochen, er wolle die „Logistik der PKK“ in Europa zerschlagen, und die Angriffe des grünen Abgeordneten Özdemir gegen „Özgür Politika“ sollen offenbar bedenkenlos vollstreckt werden. Das Grundrecht der Pressefreiheit soll für die kurdische Presse nicht gelten - nicht in der Türkei, und offenbar auch nicht in Europa. Ich appelliere - auch anläßlich des Welttages der Pressefreiheit am 3. Mai - an alle demokratischen Institutionen in Europa, an die Mediengewerkschaften, Journalisten und andere Initiativen, Parteien und Gewerkschaften, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. (30.4.99)


IG Medien: Schließung von MED-TV ist Zensur in großem Stil
Stuttgart. Die IG Medien ist empört über den Entzug der Sendelizenz für das kurdische MED-TV durch die britische „Independent Television Commission“. Die Entscheidung reihe sich ein in die unrechtmäßige Politik der Türkei zur kulturellen Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung ein und mache Großbritannien zum Mitverantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen. „Sie ist eine Verletzung von Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und damit eine Zensurmaßnahme in großem Stil“, sagte ein Sprecher der IG Medien am Donnerstag in Stuttgart. In Zeiten von allgemeiner Zensur wie sie im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg auch die NATO praktiziere, sei der Lizenzentzug durch Großbritannien ein weiterer Anschlag gegen die freie Meinungsäußerung. Gerade heute sei der Zugang zu unabhängigen Medien wichtiger denn je. MED-TV sei eine wichtige Quelle für die im Ausland lebenden Kurdinnen und Kurden, um sich über die ethnisch motivierte Zerstörungspolitik des NATO-Landes Türkei und die damit verbundenen Schicksale von kurdischen Menschen informieren zu können.
(Presseinformation der IG Medien, 29.4.99)