Süddeutsche Zeitung 03.05.99

Griechische Regierung in der Bredouille

Von Wolfgang Koydl
Istanbul – Bomben, Blockaden, Proteste – in keinem anderen Mitgliedsstaat der Nato ist der Widerstand gegen die Luftangriffe auf Jugoslawien so groß wie in Griechenland. Den Serben religiös und historisch verbunden, standen viele Griechen der Aktion von Anfang an ablehnend gegenüber.  Je mehr Bomben fallen, desto lauter werden die Rufe nach einem Ende des „imperialistischen Krieges“. Der amerikanische Botschafter in Athen, Nicholas Burns, warnte bereits besorgt davor, „einander nicht zu verteufeln und rational zu bleiben“.
Letzteres fällt einigen Griechen zunehmend schwer, vor allem, seitdem immer häufiger serbische Zivilisten das Opfer westlicher Angriffe werden.  Anfang vergangener Woche verübten linksradikale „Revolutionäre Zellen“ einen Bombenanschlag auf ein Athener Luxushotel; am 1. Mai erinnerten die Parolen der Demonstranten in ihrem schrillen Anti-Amerikanismus an die schlimmsten Jahre der Amtszeit des ehemaligen Ministerpräsidenten Andreas Papandreou; und in Thessaloniki blockierten hunderte von Demonstranten mehr als 24 Stunden lang den Hafen der Stadt. Bis zu 95 Prozent aller Griechen lehnen die Bombenangriffe auf Serbien ab. Neuerdings konzentrieren sich die privaten Fernsehsender in ihrer Berichterstattung wieder sehr viel mehr auf die „Verbrechen“ der Nato als auf die Vertreibung der Kosovo-Albaner.  Immer häufiger wird deshalb in der Öffentlichkeit gefragt, wer eigentlich schlimmer sei – die Nato oder der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic. Eine Antwort auf diese Frage erscheint vielen umso leichter, wenn – wie an diesem Wochenende – ein westliches Kampfflugzeug einen vollbesetzten Reisebus abschießt, derweil Milosevic huldvoll drei US-Soldaten freiläßt.  Wenn der Kriegsherr in Belgrad sagt, daß die Serben zwar „keine Engel sind, aber auch nicht die Teufel, die der Westen in uns sieht“, dann ist dies Kommentatoren eine eingehende Betrachtung wert.
Pasok droht Wahlniederlage
Für die Regierung unter dem rationalen und nüchternen Ministerpräsidenten Kostas Simitis ist der Grat, auf dem sie balancieren muß, noch schmaler geworden. Auf der einen Seite weiß man in Athen, mit welch großem Mißtrauen vor allem Washington alle Handlungen des kleinen Partners verfolgt. Schließlich ist es noch keine fünf Jahre her, daß aufgeputschte Demonstranten Hellas’ Austritt aus Nato und EU gefordert hatten.  Niemand weiß, ob und wann die Stimmung wieder umschlagen wird. Andererseits blicken Simitis und seine regierende „Panhellenische Sozialistische Bewegung“ (Pasok) mit steigendem Bauchgrimmen den Wahlen zum EU-Parlament entgegen. Schon vor Beginn des Krieges auf dem Balkan war die Pasok stetig in der Wählergunst gesunken. Dafür hatten ein rigider Sparkurs und die Affäre um den PKK-Chef Abdullah „Apo“ Öcalan gesorgt, der offenkundig mit stillschweigender Billigung Athens den Türken übergeben wurde. Die zähneknirschende Duldung der westlichen Attacken auf Jugoslawien hat Simitis weitere Sympathien gekostet. Die Sozialisten haben sich deshalb mehr oder weniger damit abgefunden, vom Wähler einen Denkzettel verpaßt zu bekommen. Da die oppositionelle bürgerliche „Nea Dimokratia“-Partei einen schamlos populistischen Kurs eingeschlagen hat, könnte die Abrechnung aber noch größer als erwartet ausfallen.
Von der Höhe einer Pasok-Niederlage wird es abhängen, ob die Regierung selbst ins Wanken gerät. Auf dem Parteitag der Sozialisten im April war Simitis zwar überraschend deutlich als Parteichef wiedergewählt worden. Aber wenn der Verlust der Macht droht, werden seine innerparteilichen Rivalen sofort wieder zur Stelle sein. Doch eine Regierungskrise oder gar Neuwahlen in einem chauvinistisch hochgeputschten Klima wären das letzte, was Amerika und Europa in der gegenwärtigen Lage wünschen würden. In diesem Gedanken liegt wohl der einzige Trost, den Simitis in diesen Tagen bezieht.