junge Welt 03.05.1999

Spannungen in Irakisch-Kurdistan
USA wollen Region zum Aufmarschgebiet der Saddam-Opposition machen

Während die USA offensichtlich an die kurdischen Parteien im Norden des Irak das Ansinnen gestellt haben, ihre Region zum militärischen Aufmarschgebiet der irakischen Opposition gegen das Saddam-Regime zu machen, intensiviert die irakische Regierung ihre Bemühungen, den US-amerikanischen Plänen entgegenzutreten. Wie ein führender Repräsentant der kurdischen Bewegung der Londoner Zeitung Al Hayat zufolge sagte, hat der Irak seit einiger Zeit seine Gegenmaßnahmen gegen US- amerikanische und britische Militärflugzeuge in der einseitig festgelegten Flugverbotszone nördlich des 36. Breitengrades verstärkt, und schon das beunruhige die Kurden dort. Der gleiche kurdische Offizielle dementierte auch die zuvor in der britischen Zeitung The Independent von Hoshyar Zibari, einem Führer der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) gemachte Behauptung, die USA dächten ernsthaft darüber nach, den Schutz der kurdischen Zone zu verstärken und auch zu garantieren, daß die irakische Armee dort nicht mit Bodentruppen operieren könne, wenn die kurdischen Parteien ihre Region als Aufmarschgebiet der irakischen Opposition zur Verfügung stellten. Der von Al Hayat zitierte Kurdenvertreter bezeichnete diese Idee als »sehr gefährlich«. Der Irak werde darauf »gewalttätig« reagieren.

Am 20. April hatte Al Hayat geschrieben, daß der Irak mehrere Einheiten der Republikanischen Garde und einige Panzerbrigaden in Richtung kurdische Grenze entsandt habe, wo sie Anfang der Woche rund 35 Kilometer vor Erbil gestanden hätten und sich auf die größte kurdische Stadt, Sulaimaniya, zubewegten. Die Bedingungen, die es der irakischen Armee 1996 erlaubt hätten, in das kurdische Gebiet einzudringen, seien jedoch nicht mehr gegeben. In der Tat haben die DPK, die damals die irakischen Truppen in die Region geholt hatte, um die konkurrierende Patriotische Union Kurdistans (PUK) zu bekämpfen, und diese unterdessen ihren Streit vorläufig beigelegt, wenngleich die Konkurrenz in anderer Form fortdauert. So ist es offensichtlich, daß die DPK immer stärker mit der Türkei zusammenarbeitet, deren Armee erst kürzlich zum wiederholten Male weit auf das Gebiet Irakisch-Kurdistans vorgedrungen ist, um dort vermutete PKK-Basen auszuheben. Andererseits wurde berichtet, daß die PUK bis dahin im Irak stationierten PKKlern dabei geholfen habe, in den Iran überzuwechseln. In diesem Zusammenhang stehen auch die erfolgreichen gemeinsamen Bemühungen der Türkei und der DPK um die Schließung des PKK-nahen, von London und Brüssel aus sendenden, Fernsehsenders MED-TV und die - allerdings weniger erfolgreichen - um die Gründung eines neuen Fernsehsenders im DPK-Gebiet mit direkter türkischer Unterstützung. Nachdem die US-Luftwaffe vor einiger Zeit die durch Kurdistan führende Erdölpipeline bombardiert hatte, ist der DPK das aus Zolleinnahmen erhobene Geld für dieses Projekt allerdings zunächst ausgegangen.
Die wachsenden Spannungen um die Region kommen schließlich auch darin zum Ausdruck, daß der Irak sowohl die Arabische Liga als auch die UN aufgerufen hat, der Verletzung der irakischen territorialen Souveränität durch die türkische Armee einen Riegel vorzuschieben. Während der Irak sich eifrig um die Verbesserung seiner Beziehungen zur arabischen Welt bemüht und z. B. im Falle des benachbarten Syriens damit seit zwei Jahren recht erfolgreich ist, verschlechtern sich seine Beziehungen zur Türkei offensichtlich deutlich.
Möglicherweise steht eine noch größere Krise in den Beziehungen zum nördlichen Nachbarn ins Haus, wenn dieser sich weigert, dem Irak einen größeren Anteil des Wassers aus Euphrat und Tigris abzugeben. Das ist dringend nötig, denn der Irak ist mit der größten Dürre seit 50 Jahren konfrontiert und dementsprechend einem Rückgang der Ernte für die wichtigsten Getreidesorten des Landes um etwa 75 Prozent. Beide Flüsse des Zweistromlandes entspringen in der Türkei, die durch das gigantische Südostanatolien-Projekt (GAP) einen unverhältnismäßig großen Teil des Wasser für sich behält. Syrien und der Irak sind die Leidtragenden.
Anton Holberg