DIE WELT, 28. 04. 1999

Sicherheitskräfte aufs äußerste gefordert
Demos am laufenden Band ­ Öcalan-Prozeß, Kurden-Proteste, Wehrmachtsausstellung
Von Insa Gall und André Zand-Vakili

Die Sicherheitskräfte der Hansestadt stehen in den kommenden Wochen vor gewaltigen Herausforderungen: Bereits heute ist die Sicherheitslage extrem angespannt. Durch den anstehenden Prozeß gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan und die Wehrmachtsausstellung wird sich die Situation weiter zuspitzen.
Schon jetzt ist die Hamburger Polizei durch die Kurden-Krawalle und den Krieg auf dem Balkan am Rand ihrer Belastbarkeit. Die Leistungsfähigkeit der Polizei sei auf das äußerste gefordert, räumten Polizeiführung und Innenbehörde jüngst übereinstimmend ein.
Seit dem Kriegsausbruch gab es mehrere Dutzend Demonstrationen, die polizeilich begleitet werden mußten. Allein der Serbische Humanitäre Verein Hamburg veranstaltet jeden Tag einen Protestzug vom Gänsemarkt zum US-Generalkonsulat. Hinzu kommen zahlreiche andere Demonstrationen von Kriegsgegnern und -befürwortern mit bis zu 2500 Teilnehmern. Gleichzeitig müssen viele Konsulate verstärkt geschützt werden.
Das hat konkrete Auswirkungen auf die Polizei: Die Bereitschaftspolizei arbeitet vorwiegend in Zwölfstunden-Schichten. Für Schwerpunkteinsätze wie das Antiraub-, das Drogenbekämpfungskonzept oder S- und U-Bahnbegleitung ist nicht mehr genügend Personal vorhanden.
Zu den jetzigen Problemen werden in Kürze neue hinzukommen. Wenn Kurdenführer Öcalan im Mai in der Türkei wie angekündigt vor Gericht gestellt wird, rechnet man auch in Hamburg zumindest mit neuen Demonstrationen. Abhängig vom weiteren Verlauf des Verfahrens werden auch gewalttätige Ausschreitungen befürchtet.
Anfang Juni wird in der Hansestadt die umstrittene Wehrmachtsausstellung eröffnet. Zahlreiche Gegner der Ausstellung, die vom Hamburger Institut für Sozialforschung erarbeitet wurde, haben bereits Protestaktionen angekündigt. Kulminieren dürften die Ereignisse am 6. Juni, wenn die Hansestadt nach einem bundesweiten Aufruf der NPD zum Aufmarschgebiet der Rechtsextremisten aus ganz Deutschland wird. Zugleich werden zahlreiche Gegenkundgebungen erwartet. In der kommenden Woche will sich die Polizeiführung auf einer Sitzung mit dem Problem befassen. Denn auf Unterstützung des Bundesgrenzschutzes und der Bereitschaftspolizei anderer Bundesländer kann Hamburg nicht zählen.
Der Bundesgrenzschutz wurde umstrukturiert. Die anderen Länderpolizeien sind durch ähnliche Sicherheitslagen wie in der Hansestadt auf unabsehbare Zeit selbst am Rand ihrer Leistungsfähigkeit angekommen.