Süddeutsche Zeitung 26.04.99

Um die Verantwortung reißt sich keiner
Was kann der Untersuchungsausschuß zu den tödlichen Schüssen vor dem israelischen Konsulat klären?

Von Constanze v. Bullion
Wer ist verantwortlich für die Ereignisse vom 17.  Februar 1999, als etwa 100 PKK-Sympathisanten versuchten, das israelische Generalkonsulat in Berlin zu besetzen? Vier junge Kurden wurden von israelischen Sicherheitskräften erschossen. Bis heute konnte der Vorfall nicht eindeutig geklärt werden. Die Berichte von Polizei, Staatsanwaltschaft und Zeugen weisen so viele Widersprüche auf, daß die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS im Abgeordnetenhaus einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß beantragten. Am heutigen Montag versucht der innenpolitische Ausschuß festzulegen, was diese Untersuchung klären soll.  Ein einfaches Unternehmen ist das nicht, schließlich hat in der Stadt der Wahlkampf begonnen.
Wo war die Polizei? Wann erfuhr Innensenator Eckart Werthebach (CDU), daß das israelische Konsulat gefährdet war? Tat er alles, um es zu schützen? Das sind die wichtigsten Fragen, die die Bündnisgrünen beantwortet haben wollen.
Obwohl das Konsulat als gefährdetes Objekt galt, war die Bewachung völlig unzureichend“, meint Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher der Partei. Man hatte genug Zeit, sich auf die Besetzung vorzubereiten.“
Daß die Polizei nicht gerade geglänzt hat, belegen die Berichte der Staatsanwaltschaft, aber auch Polizeiprotokolle. Am 16. Februar, einen Tag nach der Entführung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan aus Nairobi, schickt das Bundeskriminalamt ein Telex an den Berliner Innensenat. Von Seiten der PKK sei „auch mit Aktionen gegen israelische und amerikanische Einrichtungen zu rechnen“. Am 17.  Februar bewachen 32 Einsatzkräfte das türkische Generalkonsulat, vor dem Willy-Brand-Haus, der SPD-Zentrale, stehen 66 Beamte. Vor dem israelischen Konsulat hingegen läuft, wie üblich, ein Wachmann Streife, einer überwacht die Videomonitore, ein dritter sitzt im Wachhäuschen.  Lediglich ein Funkwagen ist gehalten, ab und zu vorbeizufahren.
Um 13.20 Uhr am 17. Februar warnt das BKA die Berliner Sicherheitsbehörden vor einer Besetzung des israelischen Konsulats. 22 Beamte fahren los und versuchen, vor dem Gebäude Sperrgitter zu erichten. Zu spät. Um 13.40 Uhr werden sie von Kurden mit Holzknüppeln überrannt. Es kommt zum Schlagstockeinsatz, die ersten Kurden klettern über das Gitter. Aus dem Eingangsbereich des Konsulats sollen daraufhin israelische Sicherheitkräfte um die 30 Schüsse abgefeuert haben, gaben verschiedene Polizisten später an. Vor dem Haus hätten auch sie sich unter den Kugeln der Israelis wegducken müssen.
Von einer „groben Fehleinschätzung des Innensenators“ spricht seither die SPD.  Werthebach hätte die BKA-Warnungen nicht ignorieren dürfen. Die CDU sieht das anders.
Dringender als mögliche Fehler der Polize möchte sie PKK-Strukturen und die Sicherheitslage der Hauptstadt erörtern. „Sind die Berliner Sicherheitsbehörden in der Lage, langanhaltende polizeiliche Großlagen zu bewältigen?“ fragt sie in einem Antrag, der ebenfalls einen Untersuchungsausschuß fordert. Daß die Christdemokraten nun mitmischen wollen bei der Initiative von Grünen und PDS, hat viele überrascht. Schließlich hatte die Partei es bisher
abgelehnt, den eigenen Innensenator zum Gegenstand einer Untersuchung zu machen.  Wir wollen Fragen stellen“, begründet Roland Gewalt, innenpolitischer Sprecher der CDU, den Sinneswandel. „Auch wenn die ganze Situation etwas mißlich ist.“
Posse im Wahlkampf
Mißlich ist in der Tat, daß kaum genung Zeit bleiben wird, den Polizeieinsatz zu klären. Selbst wenn der Untersuchungsausschuß sofort eingesetzt würde, müßte er Ende Juni schon wieder unterbrechen, dann nämlich beginnen in Berlin die Parlamentsferien. „Es macht doch keinen Sinn, drei Monate vor der Wahl den Innensenator abwählen zu wollen“, wettert deshalb Hans-Georg Lorenz, der die SPD im Ausschuß vertreten wird. Die CDU versuche lediglich von der Verantwortung Werthebachs abzulenken und ihren Wahlkampfthemen Ausländerkriminalität und Innere Sicherheit ein Forum zu verschaffen.
Verkommt der Vorfall vor dem Konsulat zu einer Wahlkampfposse? Vier Kurden sind erschossen wurden, unter den Toten war eine 18jährige Frau, in deren Kopf ein Projektil laut Obduktionsbericht halbschräg von hinten“ eingedrungen war. Die israelischen Schützen wurden ausgeflogen, sie haben Diplomatenstatus. Und es gibt keine Partei im Abgeordnetenhaus, die sich darum reißt, ihre Verantwortung genauer zu untersuchen. Was bleibt, ist die Staatsanwaltschaft. Sie ermittelt gegen acht Kurden, denen schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen werden. Fragt man Frank Ebel, der für die SPD im Rechtsausschuß sitzt, dann ist die Justiz die einzige Instanz, die Licht in die Angelegenheit bringen könnte – anders als das Abgeordnetenhaus. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß hat die Aufgabe, Tatbestände aufzuklären und politische Konsequenzen daraus zu ziehen. Aber er ist nicht dazu da, der Staatsanwaltschaft die Arbeit abzunehmen – oder weitgefaßte Fragestellungen wie die allgemeine Sicherheitslage zu bearbeiten.“
Von all der Kritik läßt sich der grüne Initiator des Unternehmens nicht beirren. Uns geht es um Aufklärung“, sagt Wolfgang Wieland, „auch die kurdische Bevölkerung der Stadt soll sehen, daß wir die Sache ernst nehmen.“ Wenn er heute im Innenausschuß mit der CDU einen gemeinsamen Antrag aushandelt, dann werden die Christdemokraten wohl ihre Fragen zur allgemeinen „Sicherheitslage“fallenlassen müssen.  Aber auch die Bündnisgrünen haben eingesehen, daß die Diskussion der „Hauptstadtfähigkeit“ der Polizei nichts in einem Untersuchungsausschuß verloren hat.