Süddeutsche Zeitung 15.04.99

Verfassungsgericht urteilt zugunsten pro-kurdischer Partei
Hadep nimmt an Parlamentswahl in Türkei teil
Rund 1000 Anhänger und Funktionäre vor Kundgebung in Diyarbakir festgenommen

ky. Istanbul (Eigener Bericht) – Trotz teilweiser Behinderungen ihres Wahlkampfes darf die pro-kurdische "Demokratiepartei des Volkes" (Hadep) nun doch an den türkischen Parlamentswahlen am Sonntag teilnehmen. Mit einem entsprechenden Spruch wies das Verfassungsgericht in Ankara zum zweiten Mal in vier Wochen einen Verbotsantrag von Generalstaatsanwalt Vural Savas zurück. Am Vortag waren bei der gewaltsamen Auflösung einer kurz vor Beginn verbotenen Hadep-Kundgebung in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir bis zu 1000 Menschen vorübergehend festgenommen worden. Ein örtlicher Parteifunktionär sprach sogar von 5000 Festnahmen.
Savas, der ein Verbotsverfahren gegen Hadep eingeleitet hat, hatte argumentiert, daß eine Teilnahme der Partei an den Wahlen Terroristen die Tür zu öffentlichen Ämtern öffne. Beobachter rechnen damit, daß Hadep bei den zeitgleich stattfindenden Kommunalwahlen mehrere Bürgermeisterposten, darunter in Diyarbakir, erobern könnte. Der Generalstaatsanwalt hält die Partei für den verlängerten Arm der verbotenen kurdischen Separatistenorganisation PKK.
In Diyarbakir, der Hauptstadt der Region, war es am Dienstag zu schweren Zusammenstößen gekommen, als die Polizei eine ursprünglich genehmigte Versammlung der Hadep auflöste. Wie der örtliche Parteifunktionär Feridun Celik der Zeitung Cumhuriyet berichtete, wurde die Kundgebung nur 20 Minuten vor dem geplanten Beginn verboten, als sich bereits tausende von Menschen im Stadtzentrum versammelt hätten oder auf dem Weg zum Versammlungsplatz gewesen seien. Er sprach davon, daß 5000 Menschen festgenommen worden seien. Deshalb habe man sie in Kinosälen festhalten müssen, weil die Polizei- und Gefängniszellen nicht ausreichten.  Nach Angaben der Polizei wurden 300 Menschen vorübergehend festgenommen. Mit Ausnahme einiger örtlicher Hadep-Funktionäre seien sie jedoch alle wieder auf freien Fuß gesetzt worden.
Der amtierende Hadep-Chef Osman Özcelik teilte mit, daß mehr als 1000 Demonstranten und Parteianhänger verhaftet worden seien. Der Hadep-Vorsitzende Murat Bozlak, dem Kontakte zur PKK vorgeworfen werden, befindet sich in Haft. Der Politiker soll vor Gericht gestellt werden.
Die Demonstranten waren durch die Straßen der Stadt gezogen und hatten in Sprechchören "Lang lebe Apo" gerufen. PKK-Chef Abdullah "Apo" Öcalan wartet zur Zeit auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmara-Meer auf seinen Prozeß wegen Terrorismus und Hochverrates. Das Verfahren soll am 30. April beginnen. Nach der Festnahme Öcalans wird dem Abschneiden von Hadep große Bedeutung beigemessen. Die türkischen Behörden und Generalstaatsanwalt Vural Savas im besonderen haben die Partei in den letzten Monaten so eng mit der PKK assoziiert, daß jede Stimme für Hadep als Stimme für die Separatistenorganisation gewertet werden kann.  Dies würde jedoch der amtlichen Argumentation zuwiderlaufen, wonach es sich bei der PKK um eine kleine Gruppe irregeleiteter Terroristen ohne Unterstützung in der Bevölkerung handele.