Stuutgarter Zeitung 14.4.99

Schwieriger Wahlkampf im Südosten der Türkei
Poster, Fahnen, Autos - der Staat beschlagnahmt alles

Am Sonntag wird gewählt in der Türkei. Vor allem der prokurdischen Hadep-Partei werden immer wieder Steine in den Weg gelegt. Den Einzug ins Parlament wird sie wohl nicht schaffen.
Von Astrid Frefel, Diyarbakir
Diyarbakir, eine Woche vor den türkischen Parlaments- und Lokalwahlen: Wie überall im Land sind auch in der heimlichen Hauptstadt der Kurden alle Wände mit Plakaten beklebt, über den Straßen, durch die unablässig Lautsprecherwagen dröhnen, hängen Fahnen wie Girlanden. Der Schmetterling auf gelbem Grund, das Logo der prokurdischen Hadep-Partei, fehlt, und auch Plakate ihrer Kandidaten sucht man vergebens.  Die Hadep setzt sich für die Rechte der zehn bis 15 Millionen Kurden in der Türkei ein.
Für Samstag hatte sich Deniz Baykal, der Chef der sozialdemokratischen Partei CHP angekündigt. Die Sicherheitsmaßnahmen sind besonders streng, weil zur gleichen Zeit der Supergouverneur der Ausnahmezustandsregion einen Ball für die Polizei veranstaltet. In den vergangenen Tagen waren Gouverneure im Kurdengebiet mehrfach Ziel von Selbstmordattentaten gewesen. Etwa 1500 Neugierige, darunter nur ganz wenige Frauen, wollen Deniz Baykal sehen.  ¸¸Die kurdische Frage ist auch eine Frage der Demokratie’’, verkündet eines der Spruchbänder auf dem Platz vor der Zitadelle. Baykal vermeidet es, über die Kurden zu reden. Er zieht es vor, nicht konkret zu werden. Er spricht vom ¸¸Südosten’’ und daß es bei all der Gewalt keinen Frieden geben könne. Aber jeder Mensch habe das Recht auf Achtung seiner Identität und seines Glaubens.
Konkret verspricht Baykal den Anwesenden, daß seine Partei, wäre sie an der Macht, ein Entwicklungsprogramm für die Region nicht nur ankündigen, sondern auch ausführen würde.  Baykals CHP ist unter den etablierten türkischen Parteien die fortschrittlichste und europäischste. Aber auch er wagt es, in der seit der Festnahme von PKK-Chef Abdullah Öcalan aufgeheizten Stimmung, nicht, der kurdischen Minderheit Reformen zu versprechen. Bei den Wahlen im Dezember 1995 hatte es die CHP in Diyarbakir nur auf zwei Prozent gebracht.
Wo die Sympathien wirklich liegen, hätte das Hadep-Treffen am Dienstag zeigen sollen. 150 000 Menschen hatten die Veranstalter erwartet. Aber die Behörden verboten die Kundgebung aus Sicherheitsgründen. Es gab nach Protesten 300 Festnahmen. Obwohl offiziell zu dem Urnengang zugelassen, legt der Staat der Hadep viele Steine in den Weg und schränkt ihre Bewegungsfreiheit massiv ein. Parteichef Murat Bozlak und mehrere Führungskräfte sitzen unter dem Vorwurf, Sympathieaktionen für Öcalan unterstützt zu haben, im Gefängnis. ¸¸Der Staat sieht die Hadep als Feind, deshalb geht er gegen sie vor’’, erklärt der Anwalt Sabahattin Korkmaz.
Wie diese Schikanen in Diyarbakir aussehen, schildert Cabbar Leygara, Bürgermeisterkandidat im Stadtteil Baglar. ¸¸Alle unsere Plakate und Fahnen werden immer wieder entfernt. 103 unserer Fahrzeuge hat die Polizei unter irgendeinem Vorwand beschlagnahmt’’, erklärt Cabbar in der Parteizentrale, bevor er sich zu Fuß auf Wahlkampftour begibt. Nicht die Fahnen, sondern Herzen und Überzeugung seien wichtig, bekomme er von den Leuten immer wieder zu hören. Schlimmer als in der Stadt sei der Druck aber auf den Dörfern. Dort laute die Drohung der Behörden, wenn auch nur eine Stimme für die Hadep in der Urne liege, werde das Dorf zerstört, würden die Einwohner vertrieben. Dort wo Hadep an die Regierung komme, gebe es aus Ankara kein Geld mehr für Investitionen, lautet ein anderer Einschüchterungsversuch.
Gegen die Hadep läuft bereits ein Verbotsverfahren, wobei es aber noch mehrere Monate dauern wird, bis darüber entschieden wird. Deshalb versuchte der Oberstaatsanwalt, zumindest ein Verbot für die Teilnahme an den Wahlen durchzusetzen. Einmal ist er vor dem Verfassungsgericht bereits abgeblitzt. Vor wenigen Tagen hat er abermals einen Antrag gestellt, mit der Begründung, die Partei hätte Verbindungen zu einer terroristischen Organisationen (gemeint ist die PKK). Es gelte deshalb zu verhindern, ¸¸daß wir Hunderte oder sogar Tausende von terroristischen Abgeordneten, Bürgermeistern und Mitglieder der Gemeindebehörden haben’’. Vor Hadep waren schon mehrere pro-kurdische Parteien verboten worden. Zweck einer Partei sei es, an Wahlen teilzunehmen.  Ein solches Verbot würde deshalb den Tod der Hadep bedeuten, meint Cabbar, der diesen Antrag als Mittel sieht, den psychologischen Druck weiter zu verstärken.
An mehreren Orten wurden Leute verhaftet, die an Hadep-Kundgebungen teilnehmen wollten, und verschiedentlich kam es zu tätlichen Angriffen von türkisch-nationalistischen MHP-Mitgliedern (Grauen Wölfen) gegen Hadep-Wahlhelfer. Das staatliche Fernsehen berichtet zwar von Hadep-Treffen, aber ohne den Zustrom der Anhänger zu zeigen.
Die Lokalwahlen von 1994 hatte Hadep wegen der vielen Einschränkungen boykottiert. Damit war in Diyarbakir der Weg frei für Ahmet Bilgin von der proislamistischen Fazilet. Er hat sich als Oberbürgermeister einen guten Namen gemacht und hat darum gute Chancen, seinen Sessel zu verteidigen. Bei den Parlamentswahlen vom Dezember 1995 erreichte Hadep landesweit 4,2 Prozent und verfehlte damit die extrem hohe Hürde von zehn Prozent klar: Nicht ein Hadep-Abgeordneter konnte ins Parlament einziehen. Profitiert hat die Fazilet. In Diyarbakir etwa erreichte die Hadep 152 000 Stimmen und bekam dafür keinen Sitz, die Fazilet erhielt mit 62 000 Stimmen fünf Abgeordnete.
Laut regierungseigenen Prognosen könnte die Hadep-Partei im kurdischen Südosten diesmal sechzig Prozent der Stimmen erzielen und künftig in 13 Provinzen und fünfzig Städten regieren. Der Einzug ins nationale Parlament scheint aber auch an diesem Sonntag unerreichbar.