Hamburger Abendblatt 12.4.99

4000 demonstrierten gegen Luftangriffe

Für einen sofortigen Stopp der Luftangriffe auf Jugoslawien haben politische Parteien, Gruppen und Initiativen am Sonnabend in der Hamburger Innenstadt demonstriert. Das „Hamburger Forum“ als Veranstalter nannte 4000 Teilnehmer, die Polizei schätzte 1800. Der Demonstrations-Aufruf war unter anderen auch von 20 Bürgerschaftsabgeordneten der SPD und GAL sowie von einer Reihe von Funktionsträgern beider Parteien unterstützt worden. Als einziges Regierungsmitglied war Umweltsenator Alexander Porschke (GAL) dabei.
„NATO-Angriffskrieg sofort beenden“ stand auf dem Transparent der Grünen, dahinter unter anderen die Bürgerschaftsmitglieder Heike Sudmann, Lutz Jobs, Manfred Mahr und Hans-Peter de Lorent. „Es ist ein schwieriges Thema“, räumte Sudmann ein. Die von politischen Gegnern vorgebrachte Formel: „Wer gegen den Krieg ist, ist für Milosevic“ wollte sie nicht gelten lassen. Porschke sagte, man müsse „dringend einen Weg finden, um die Gewalt-Spirale zu beenden“.
Selten war eine Demonstration so vielschichtig besetzt: SPD und GAL, DKP und PDS, Gewerkschaften und Kirche, Albaner, Serben und Kurden, linke Splittergruppen. Gegenseitige Feindseligkeiten waren programmiert; wer welche Transparente hochhielt und Sprüche skandierte, war nicht immer klar zu erkennen.
Vor allem die Grünen bekamen das zu spüren.
Partei-Sprecherin Kordula Leites wurde nicht nur von einem Pfeifkonzert empfangen, sondern auch mit den Rufen „Aufhören“ und „Mörder, Mörder“ traktiert. „Auch wir sind unzufrieden“, sagte sie, „auch wir hätten uns gewünscht, daß die Bundesregierung sich einem Angriffskrieg verweigert und unser Außenminister andere Wege findet.“ Daß die Grünen sich spalten, „steht im Raum, aber was würde sich ändern“?
Es gab aggressive Sprüche: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land, Fischer, Schröder an die Wand!“ Während Milosevic’ Vertreibungs-Orgie nur beiläufig zur Sprache kam, wurde die NATO als „Terrorist“ beschimpft. Zwar hieß es „Nicht alle Serben heißen Milosevic“, aber auch:
„Deutschland muß sterben, damit wir leben können“ (in Umkehrung des Spruchs auf dem Kriegerdenkmal am Dammtor).
Der Schauspieler und Gewerkschafter Rolf Becker forderte Verhandlungen auf der Grundlage der UNO und unter Einbeziehung der Russen und Chinesen: „Das wäre vermutlich aufwendig, aber verlustärmer als Krieg.“ Die SPD-Abgeordnete Erika Woisin trieben Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg: „Mein Bruder fiel mit 18, mein Vater war in Gefangenschaft, mein Mann kam krank zurück.“
Den meisten Passanten blieb die Demonstration eher fremd. „Wenn sie das stoppen wollen, dann sollen sie da runtergehen“, sagte eine ältere Frau vor Karstadt. Und als man ihr ein Flugblatt anbot: „Ne, den Scheiß will ich nicht!“ Daß die Glocken von St. Petri just in dem Augenblick zu läuten anfingen, als der Zug am Rathaus ankam, war Zufall. Die läuten jeden Sonnabend um zwölf den Sonntag ein.
Demonstrationen gegen die NATO-Luftangriffe gab es am Wochenende auch in anderen Städten. In München kam es bei einem Auftritt von Verteidigungsminister Rudolf Scharping zu Rangeleien mit der Polizei. Vor dem US-Luftwaffenstützpunkt Spangdahlem in der Eifel protestierten etwa 70, in Bielefeld rund 500 (meist Serben), in Amsterdam etwa 1000 Menschen gegen die Angriffe.
Für den Nato-Einsatz gingen in Bonn vorwiegend Albaner auf die Straße. Viele hatten sich Abzeichen der Untergrundarmee UCK angeheftet.    (scho)