taz Bremen 10.4.1999

Grüne fordern Diplomatie im Kosovo
Nach wachsender Kritik der Grünen-Basis meldet sich der Bremer Landesvorstand zum Krieg zu Wort / „Nato ist weder militärischem noch politischem Ziel näher gekommen“

Nach langem Schweigen haben sich die Bremer Grünen gestern erstmals öffentlich zum Kosovo-Konflikt geäußert. Die Landesvorstandssprecher Kathrin Kummerow und Hucky Heck forderten „die Möglichkeiten für eine politische Lösung auszuschöpfen und die Bundesregierung auf, eine diplomatische Initiative für einen politischen Ausweg zu ergreifen.“ Die Luftangriffe hätten gegen die Politik Milosevics der „Ethnischen Säuberung“ nichts oder nur wenig ausgerichtet. Der einzige Ausweg aus der „verfahrenen Situation“ sei eine „von der deutschen Bundesregierung initiierte diplomatische Offensive“.
Jörg Hutter, Beisitzer im Landesvorstand und
Bürgerschaftskandidat, ging noch einen Schritt weiter. Er forderte den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo, falls sich die Hinweise auf einen großangelegten Völkermord bestätigen sollten. „Ich befürchte, daß die Menschen, die sich noch im Kosovo aufhalten, dem Tod geweiht sind.“
Hutter sagte: „Mit wahnsinnigen Bauchschmerzen habe ich jetzt diese sehr weitreichende Position übernommen“. Hutter beschäftigt sich seit Jahren wissenschaftlich mit Verfolgung im „Dritten Reich“.  Er entdeckt Parallelen zwischen serbischem Verhalten und dem Nationalsozialismus. Dem könne man nun nicht tatenlos zuschauen.  Hutter lehnt eine Beteiligung deutscher Bodentruppen aus historischen Gründen ab.
Für Vorstandssprecher Heck und Kummerow hingegen sind Bodentruppen ein „unkalkulierbares Risiko“ und daher grundsätzlich abzulehnen. Andererseits würde eine bedingungslose Einstellung der NATO-Aktionen dem Völkermord Vorschub leisten. Als Ziel formulierten die Sprecher einen „Stabilitätspakt für die Region“, der an sechs Bedingungen geknüpft sein müßte. So soll Rußland in die diplomatischen Bemühungen einbezogen werden; serbische Einheiten müßten sich aus dem Kosovo zurückziehen; die in Mazedonien gefangengenommenen US-Soldaten müßten „befreit“ werden; Flüchtlinge müßten an ihren Herkunftsort zurückkehren; internationale Friedenstruppen mit UN-Mandat müßten stationiert und eine politische Lösung für den gesamten Balkan gesucht werden.
Die Konsequenz, die die Grünen jetzt schon aus dem Kosovo-Konflikt gezogen haben: In Zukunft wolle man sich stärker auf die Entwicklung des Völkerrechtes konzentrieren, „die die Menschenrechte stärker zum Maßstab nimmt und die eine Verbindung zur aktiven Friedenspolitik schafft“. Ihr 17-tägiges Schweigen begründeten die Sprecher damit, daß es verständlich sei, daß „der erste Weg nicht immer über ein Statement in der Presse laufen könne“.
Die Stellungnahme des Landesvorstandes kann als Reaktion auf die wachsende Kritik von der Grünen-Basis gewertet werden. Zu den ersten öffentlichen Kritikern des NATO-Einsatzes hatte der Kreisvorstand der Grünen in Bremen-Nord gehört. Vor einer Woche hatten sie sich von den NATO-Angriffen distanziert und das Ende der Kampfhandlungen der NATO gefordert. Die NATO messe mit zweierlei Maß, weil sie die türkischen Übergriffe in Kurdistan seit Jahren dulde und zudem Waffenlieferungen in das Krisengebiet Jugoslawien nicht unterbunden habe.
Am vergangenen Mittwoch hatte die Grünen Jugendinitiative (GJI) aufbegehrt und eine Erklärung „Junge Bremer Grüne gegen den Krieg im Kosovo“ veröffentlicht. Die Grünen, allen voran Außenminister Fischer, haben mit dem NATO-Einsatz „ein weiteres grünes Ideal über Bord geworfen“, formulierten die jugendlichen Grünen. Zu ihnen gehörten unter anderem Bürgerschaftskandidat Björn Fecker, Ex-Bundestagskandidat Til Stenzel, GJI-Mitglied Jan Fries und die GJI-Bundesausschußdelegierte Kathrin Christians. In ihren Augen schaffe der „völkerrechtswidrige Angriffskrieg“ keine Lösung, sondern stelle eine „Zäsur der Internationalen Politik“ dar. In der Erklärung heißt es: „Die NATO-Staaten, insbesondere Deutschland, müssen erkennen, daß der Schritt der Selbstmandatierung ein Schritt zu weit war“. Sie erinnerten ihre Parteichefs: „Auch für die Grünen gilt, sie haben ihre Partei nur von ihren Kindern geerbt.“
Christoph Dowe