Main Echo 9.4.99

Gericht sieht wachsende Gefahr für Kurden: Familie Cetin wird vorläufig geduldet
Öcalans Festnahme hat Situation in der Türkei verschärft ­ Hauptverfahren entscheidend

Kreis Miltenberg. Aufatmen bei den Cetins: Die fünf Mitglieder der kurdischen Familie dürfen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihre Asylklage nicht in die Türkei abgeschoben werden. Das entschied das Bayerische Verwaltungsgericht in Würzburg nach einem Antrag.
Begründet wurde der Beschluß unter anderem mit der »Verschärfung der allgemeinen Situation der Kurden in der Türkei« nach der Festnahme des PKK-Chefs Abdullah Öcalan am 15.Februar.
Mehrmals hatte die in Weilbach lebende Familie nach Ablehnung ihrer Asylanträge im vergangenen Jahr Rechtsschutz gegen die drohende Abschiebung beantragt ­ stets erfolglos. Nun hat sich die Situation geändert. Durch die Verhaftung Öcalans, so argumentieren die Rechtsvertreter der Familie Cetin, sei die Situation für Kurden in der Türkei gefährlicher geworden.
Massives Vorgehen
Das Gericht teilte die Auffassung der Antragsteller. Seit dem 15.Februar gebe es »Anzeichen für ein massives Vorgehen gegen Mitglieder der prokurdischen Partei Hadep«. Möglicherweise seien Verbindungen dieser Partei zur PKK bekannt geworden. Die neue Situation in der Türkei erfordere daher »eine erneute Beurteilung«.
Begründet wird die neue Einschätzung auch mit den »Sonderverfügungen« des türkischen Justizministers Selcuk Özek. Diese sehen vor: konsequentes Vorgehen und Ergreifen »notwendiger Maßnahmen« gegen die PKK, ihre Sympathisanten und generell all jene, die »gegen das Staatsinteresse« der Türkei handelten.
Auf einen Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 25.Februar stützt sich das Gericht ebenfalls. Darin heißt es: »Angesichts der zur Zeit hochemotionalisierten Atmosphäre im Zusammenhang mit der Inhaftierung Öcalans ist jedoch zu bedenken, daß ein erhöhtes Risiko einer besonderen Gefährdung für abzuschiebende Türken kurdischer Volkszugehörigkeit besteht.«

Für das Gericht hebt sich der Fall Cetin zudem »in mancherlei Hinsicht von der Masse ab«. Mehmet und Zükriye Cetin stammten aus der Kurdenprovinz Mardin. Nach Mehmets Cetin Angaben seien drei seiner Geschwister bereits als Asylberechtigte in Deutschland anerkannt worden. Das, so heißt es in der Begründung, sei »ein gewisses Indiz«, daß der als Zwölfjähriger wegen politischer Verfolgung nach Deutschland Eingereiste »nicht aus einer staatstreuen Familie stammt«.
Für »maßgeblich« hält das Gericht die Tatsache, daß Mehmet Cetin in das wehrdienstpflichtige Alter hineingewachsen sei. Damit bestehe die Gefahr, daß er wegen Wehrdienstentziehung gesucht werde. Darüber hinaus seien die Antragsteller in Deutschland mit ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit gegangen. Die individuellen Gründe der Cetins haben in den Augen der Richter bislang jedoch nicht ausgereicht, um ihnen das Asylrecht zu verschaffen. Das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg beurteilt die Chancen der Familie im bevorstehenden Hauptsacheverfahren daher als »eher ungünstig«.
Der CSU-Kreisrat Paul Ripperger (Weilbach), der sich für das Bleiberecht der Familie einsetzt, schätzt, daß es in etwa einem halben Jahr zur Hauptverhandlung kommen könnte. Auch er ist skeptisch, was den Erfolg angeht: Die jetzt getroffene Entscheidung des Gerichts ist für ihn »allein eine Folge aus der Öcalan-Geschichte«.
Altfallregelung erhofft
Aus diesem Grund setzt Ripperger darauf, daß die rot-grüne Bundesregierung »endlich in die Gänge kommt« und eine Altfallregelung für Asylbewerber verabschiedet, die seit mehr als acht Jahren in der Bundesrepublik geduldet werden. Dann könnte auch Mehmet Cetin, der seit zwölf Jahren in Deutschland wohnt, ohne Sorge vor der Abschiebung hier leben.
Das Landratsamt Miltenberg hatte als Vertreter des Freistaats Bayern die Abschiebung gefordert. Durch die Festnahme und Verbringung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan in die Türkei, so die Landkreis-Behörde, sei es zu keiner Verschärfung der dortigen Sicherheitslage gekommen. Der Prozeß gegen den PKK-Führer werde von zahlreichen Staaten und ausländischen Organisationen beobachtet.