taz 7.4.1999

Planspiel Rückeroberung
Planspiel Rückeroberung Allen Dementis zum Trotz: Der Krieg am Boden wird immer wahrscheinlicher. Wie für die Kurden im Irak könnten jetzt auch für die Kosovo-Albaner Sicherheitszonen geschaffen werden

Milosevic mag denken, daß er fertig ist, wir aber sind mit ihm noch nicht fertig.“ Das antwortete der Sprecher des Pentagon, Ken Bacon, auf die Frage, ob Amerikas Kampfubschrauber „Apache“ eingesetzt werden können, bevor Milosevic damit fertig ist, das Kosovo zu entvölkern. In der Aussage klingt außer einem Starken-Mann-Gehabe auch an, daß mit einem „albanerfreien“ Kosovo sich die Sache für Amerika und die Nato nicht erledigt hätte. „Wir können uns ein zweites Bosnien nicht leisten“, sagt auch Ivo Daalder, ehemaliger Berater Clintons im Nationalen Sicherheitsrat: „wir müßten Kosovo zurückerobern, sonst wäre das das Ende der Nato“.
Territoriale Eroberung aber ist nur durch eine militärische Besetzung möglich. Das versteht auch der Laie. Durch vorsichtige Wendungen solcher Art wird die Öffentlichkeit auf einen Landkrieg auf dem Balkan vorbereitet. Die von der Clinton-Regierung als Beschwichtigung ausgegebene Parole, daß es auf keinen Fall zum Einsatz von Bodentruppen kommen würde, begann schon bald nach Kriegsbeginn zu wanken.
Als deutlich wurde, daß Milosevic die Luftangriffe zum Vorwand dafür nahm, ein ganzes Territorium von seiner Bevölkerung zu entleeren, da deutete Clinton einen kaum wahrnehmbaren Schwenk in den Optionen von USA und Nato an. Anders als bisher könnten sich die USA gezwungen sehen, nicht mehr die Autonomie, sondern die Unabhängigkeit Kosovos zu unterstützen. Als Drohung an Milosevic gedacht, noch einmal innezuhalten und das Risiko abzuwägen, das Kosovo ganz und gar zu verlieren, legte diese Äußerung Konsequenzen nahe: Ein unabhängiges Kosovo schafft andere Voraussetzungen für eine militärische Intervention als Völkervertreibung im eigenen Land.
Unterstützen die USA die Unabhängigkeit Kosovos?
Die Anerkennung der Unabhängigkeit eines Teils des alten Jugoslawien spielte schon bei der Loslösung Kroatiens 1991 eine Rolle. Damals plädierte der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher für die Anerkennung eines unabhängigen Kroatiens - in der Annahme, eine Internationalisierung des Konflikts würde Jugoslawiens Haltung ändern. Was damals den Krieg nicht aufhielt, soll ihn heute gewinnen helfen.
Die International Herald Tribune, die im Ausland erscheinende Koproduktion von Washington Post und New York Times, ging in der Auslegung dieser Option bisher am weitesten. Die Anerkennung des Kosovo als unabhängiger Staat sei die eigentliche Frage, um die sich Clinton mit seiner besonderen Sorge um das Schicksal der Flüchtlinge herummogele, hieß es gestern in einem Leitartikel. Ein unabhängiges Kosovo zwinge die internationale Gemeinschaft ähnlich wie im Falle der Besetzung Kuweits, militärisch einzugreifen. Mit dem Ziel, das besetzte Territorium zu befreien. „Das Kosovo ist so groß wie die Stadtfläche von Los Angeles,“ erklärt der Autor des Leitartikels in einem Interview, „eine Panzerkolonne braucht für eine Durchfahrt eine Stunde, Infanterieeinheiten nur einige Tage.“
Der Einsatz am Boden wird immer öfters gefordert
In der öffentlichen Meinung der USA findet ein Schwenk statt, und die Berichterstattung über das Flüchtlingsdrama trägt seinen Teil dazu bei. Kommentatoren sowie berufene und weniger berufene Militärexperten erklären seit Tagen, daß der Krieg um das Kosovo nicht aus der Luft gewonnen werden kann und Bodentruppen nicht ausgeschlossen werden dürfen.
„Wer im Balkan eingreifen will, braucht schwielige Fäuste, einen starken Magen und muß hart zuschlagen“, riet etwa Ralph Peters, Autor des in Amerika Aufsehen erregenden Buches „Fighting for the Future“. Die Zustimmung der US-Öffentlichkeit zum Bombenkrieg ist nach einer Umfrage von Washington Post und ABC von ursprünglich 55 auf 68 Prozent gestiegen. 55 Prozent sprechen sich jetzt für den Einsatz von Bodentruppen aus, 41 Prozent sind dagegen.
Wie USA und Nato von ihrer ursprünglichen Ablehnung der Unabhängigkeit Kosovos und des Einsatzes von Bodentruppen abrücken könnten, riet schon letze Woche Ivo Daalder: „Das Kosovo teilen oder darin doch sichere Zonen für die Albaner schaffen, die durch Truppen verteidigt werden müßten.“ Ein Modell stellen die Schutz- und Flugverbotszonen dar, die nach dem Golfkrieg im Irak zum Schutz der Kurden eingerichtet wurden. Die Verlegung der „Apache“-Hubschrauber könnten also doch der erste Schritt für den Bodeneinsatz sein.
Peter Tautfest, Washington