Frankfurter Rundschau 3.4.99

Irans Kurden regen sich
Im Gespräch: Parteichef Alizadeh

Von Edgar Auth (Frankfurt a. M.)
Über einen Aufschwung der politischen Aktivität der Kurden in Iran berichtet der Generalsekretär der linksgerichteten Kurdenpartei Komala, Ibrahim Alizadeh. Die beiden wichtigsten und lange rivalisierenden Kurdenparteien dort näherten sich an, erklärte er im Gespräch mit der FR. Aus seiner Sicht werden die iranischen Kurden künftig eine größere Rolle in der kurdischen Frage spielen.
Als Mitte Februar der Vorsitzende der türkischen Kurdenpartei PKK, Abdullah Öcalan, in die Türkei verschleppt wurde, riefen nach Alizadehs Schilderung sogar die Teheran gegenüber loyalen kurdischen Abgeordneten im iranischen Parlament zu Protestdemonstrationen in ihren Heimatprovinzen auf. Dem folgten die Kurden im Nordwesten Irans gerne.  Doch sie forderten nicht nur Freiheit für Öcalan, sondern auch die eigene Selbstbestimmung - und Arbeit. Es folgte ein überaus brutaler Einsatz der Polizei und der Revolutionswächter, über den auch die mit der Komala seit geraumer Zeit zusammenarbeitende Demokratische Partei Kurdistan-Iran (DPK-I) berichtete. Demnach wurden in den Städten Urmia, Mahabad, Sanandaj und Kamiran 30 kurdische Demonstranten getötet, viele verletzt oder festgenommen.
Die Arbeitslosigkeit liegt dort nach Alizadehs Angaben bei 30 Prozent und damit weit über iranischem Durchschnitt. Es gebe im kurdischen Teil Irans weder Eisenbahn noch nennenswerte Industrie. Zigtausende Arbeiter gingen saisonweise in andere Landesteile, andere schlügen sich in kleinen Werkstätten mit schwerer Arbeit durch. Das Gesundheitssystem sei sehr primitiv. Die Analphabetenrate liege weit über dem Landesdurchschnitt.
Die Mehrheit der etwa fünf bis sechs Millionen Kurden in Iran bezeichnete Alizadeh als "politisiert". Sie orientierten sich an der DPK-I oder der Komala. Teheran reagiere mit brutaler Repression. Seit Jahren gleiche das Gebiet einem militärisch besetzten Land. Viele politisch Aktive seien nach Irak geflohen. Dort wurden nach Alizadehs Angaben in den vergangenen vier Jahren 400 Exilanten aus Iran ermordet. Auf jeden einzelnen sei ein Kopfgeld ausgesetzt, wobei Oppositionelle "teurer" seien als andere.
Den Aufschwung des politischen Bewußtseins bringt Alizadeh mit der Regierung Mohammad Khatamis in Verbindung. Doch sei die Fraktion des iranischen Präsidenten nicht Ursache des Wandels, sondern dessen Folge.  "Die politische Situation in Iran wird so werden, daß auch ein Khatami nicht mehr reicht. Es muß ein noch Liberalerer kommen", sagt er. Die Teuerungsrate sei weiter gestiegen, ebenso die Arbeitslosigkeit. Der Terror gegen Oppositionelle sei derselbe wie vorher. "Aber die Leute haben mehr Mut, sie machen etwas", spielt er auf eine seit Monaten anwachsende Bewegung an.
Dabei seien für die Kurden soziale und allgemein-politische Fragen wichtiger als staatliche Unabhängigkeit. Auch die Komala träumt nicht von einem Großkurdistan aus Teilen der heutigen Türkei, Syriens, Iraks und Irans. Alizadeh wünscht sich "ein besseres Leben für die Kurden", sicher und gleichgestellt mit den anderen Arbeitern in den jeweiligen Ländern.  "Ein Großkurdistan unter einer zurückgebliebenen kurdischen Diktatur wäre ein größerer Schicksalsschlag als das, was wir jetzt haben", fügt er hinzu.
Dennoch beteilige sich die Komala an der Planung zu einem Kurden-Kongreß für mehrere Länder, zusammen mit der PKK und der nordirakischen PUK. Die PKK hält Alizadeh nicht für geschlagen, denn sie sei mehr als eine Organisation, sie sei eine Bewegung in der Türkei. Wenn die PKK angesichts der aktuellen türkischen Angriffe Hilfe suche, sei weniger die Komala gefragt: "Die haben so gute Beziehungen zur iranischen Regierung, daß sie uns nicht brauchen." Und: "Bewaffneter Kampf ist wie ein zweischneidiges Schwert. Die eine Seite schneidet den Kopf des Feindes ab, die andere die eigene Hand."