Main Post, 03.04.1999 - Bayern

Nach Abschiebung - Mutter und Vater in Haft

HASSFURT (JOB)
Das Asylgesuch der in Haßfurt lebenden kurdischen Familie Ay war nach sieben Jahren immer neuer Anträge abgelehnt worden. Ihre Abschiebung erfolgte am vergangenen Montag früh von Haßfurt über Frankfurt nach Istanbul.
Nach dem Stand vom Mittwoch abend befinden sich sowohl Ali Ay als auch seine Ehefrau Hatice in türkischem Polizeigewahrsam. Bei Ali Ay hatte man diese Reaktion der türkischen Behörden als ziemlich sicher vorausgesehen, weil er in der Türkei den Wehrdienst verweigert hatte.
Hatice Ay durfte kurz bei ihrem Vater in Deutschland anrufen.  Die vierjährige Tochter des Paares, die mit ausgeflogen worden war, wurde auf Anweisung der türkischen Behörden bei Ali Ays Vater im kurdische Elbistan untergebracht. Der verzweifelte alte Mann rief bei einer Haßfurter Familie an, weil das völlig verstörte Kind in wildfremder Umgebung bei dem ihm fremden Mann nur noch weinte.
Aus Zufall nicht abgeschoben wurden die siebenjährige Tochter und der achtjährige Sohn der Familie. Sie waren bei der Polizeiaktion am frühen Montagmorgen bei Verwandten und gelten jetzt nach Auskunft der Behörden als "untergetaucht". Wenn man sie findet, sollen auch sie abgeschoben werden, hieß es aus dem Landratsamt. 


Fränkischer Tag - Hassberge - Samstag, 3. April 1999

Schicksal der Familie Ay ungewiß
Nach der Abschiebung ist das kurdische Ehepaar wohl in türkischem Polizeigewahrsam

HASSFURT. Die Ungewißheit über das weitere Schicksal der kurdischen Familie Ay, deren  Asylgesuch in der Bundesrepublik nach sieben Jahren immer neuer Anträge abgelehnt worden war und für die sich noch im Januar Landrat Handwerker persönlich bei Innenminister Beckstein eingesetzt hatte (vergeblich, wie man jetzt weiß), hält an. Ihre Abschiebung am vergangenen Montag früh von Haßfurt über Frankfurt nach Istanbul hat, wie berichtet, erhebliches Aufsehen erregt.
Nach dem Stand vom Mittwoch abend befinden sich sowohl Ali Ay als auch seine Ehefrau Hatice in türkischem Polizeigewahrsam. Bei Ali Ay hatte man diese Reaktion als ziemlich sicher angesehen, da er in der Türkei den Wehrdienst verweigert hatte. Hatice Ay durfte für wenige Minuten bei ihrem Vater in Deutschland anrufen, wobei sie sich — so der ebenfalls in Deutschland lebende Bruder gegenüber der Ausländerbeauftragten der Haßfurter Caritas, Roswitha Schmitt, — "sehr vorsichtig" ausgedrückt haben soll.
Überraschend erreichte am Mittwoch abend eine Haßfurter Familie ein weiterer Anruf aus der Osttürkei, und zwar aus dem kurdischen Gebiet Elbistan, in dem bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen und in dem das einstige Heimatdorf von Ali und Hatice Ay dem Erdboden gleichgemacht worden ist. Als einziger Anverwandter der Familie Ay lebt dort noch Alis Vater, ein alter Mann. Dieser war von den türkischen Behörden aufgefordert worden, die vierjährige Tochter Tilber, die mit den Eltern ausgeflogen worden war, in Obhut zu nehmen. In völlig fremder Umgebung und zusammen mit einem ihr wildfremden Mann heulte die Kleine fast ununterbrochen. Der alte Mann wußte sich nicht anders zu helfen, als in Haßfurt anzurufen, damit Tilber wenigstens ein paar ihr vertraut klingende deutsche Worte vernehmen und sich beruhigen konnte. Quasi "illegal" halten sich in der Bundesrepublik weiterhin die beiden anderen Kinder der Ay's, die siebenjährige Gülsan und der achtjährige Tahir, auf. Es war Zufall, daß sie am Montag früh bei der Abschiebeaktion nicht dabei waren. Die Familie Ay war am Wochenende zu ihren Verwandten gefahren, und weil die Schulferien begonnen hatten, waren beide dort geblieben. Sie sind sozusagen "untergetaucht". Wie Regierungsrätin Sylvia Schindler vom Landratsamt Haßberge mitteilte, ist die Kreisverwaltungsbehörde im Auftrag des Innenministeriums verpflichtet, nach ihnen polizeilich suchen zu lassen. "Bisher wissen wir nicht, wo sie sich befinden", sagte sie am Donnerstag auf Anfrage. Und was geschieht, wenn man sie findet? "Falls sie sich bei Verwandten aufhalten, wo ordnungsgemäße Zustände herrschen und ihre Versorgung gesichert ist, brauchen wir das Jugendamt nicht einzuschalten", sagte Sylvia Schindler. "Aber dann müssen auch sie abgeschoben werden." Allerdings müsse organisiert und gewährleistet sein, daß die Kinder am Flughafen in Istanbul auch abgeholt werden. Falls dies nicht durch die Eltern geschehen könne, müßte dies über den Kinderschutzbund organisiert werden. Nicht wenige, die mit dem Fall juristisch betraut sind, glauben, daß dies bedeuten würde, daß die Kinder, die weit besser die deutsche Sprache als die türkische beherrschen, wohl in ein Heim kommen. In der zurückliegenden Woche haben die Kindergartenkinder der Fröbelstraße in Haßfurt von der Abschiebung mit größter Bestürzung Kenntnis genommen. Es waren erklärende Gespräche der Kindergärtnerinnen mit den sichtlich mitgenommenen Kindern erforderlich. In einem großen Kreis haben die Kinder und die Kindergärtnerinnen für die Familie Ay gebetet. Gerührt hat, wie er dem FT schilderte, auch einen Vater das Gute-Nacht-Gebet seines knapp fünfjährigen Sohnes, der zusammen mit Tilber in einer Kindergartengruppe war und der auch mit Gülsan ein Jahr lang in dieser Gruppe zusammen war. Es sei aussagekräftiger als alle Argumente zu Recht, Moral oder Integration: "Papa, die Gülsan und die Tilber sind in die Türkei gereist. Beide sind meine Freunde. Ich bin traurig. Lieber Gott, bitte beschütze Gülsan und Tilber und mach, daß sie bald wieder nach Haßfurt zu Besuch kommen."
Jochen Bopp