Berliner Zeitnug 3.4.99

Mit den Serben leben

Von Erich Böhme
Da gibt es kein Vertun, es herrscht Krieg auf dem Balkan, in Europa. Und wir können sagen, wir seien dabeigewesen.
Allen Grund hätte es für uns gegeben, uns nach über fünfzig Jahren, seit wir blutig und brutal auf dem Balkan eingefallen waren, aus einem neuen Schießkrieg herauszuhalten. Und auch die Amerikaner hätten Grund genug gehabt, an sich zu halten. Zu schmählich war ihr Abgang aus Vietnam, zu lächerlich ihr Operettenkrieg gegen Grenada, zu hanebüchen der Golfkrieg, den sie gewannen, ohne Sieger über Saddam Hussein geworden zu sein, zu auffällig ihre humanitäre Zurückhaltung im Kurdenkrieg und ihre CIA-Beihilfe beim Kidnapping des PKK-Bosses Öcalan. Den Saddam Hussein brauchten sie einst in ihrer Auseinandersetzung mit dem Iran, die Türkei als Stützpunkt beim Bombing Bagdads. Nun also gehören wir zum ersten Mal mit zum amerikanischen Expeditionskorps, euphemistisch Nato-Einsatz geheißen.
Vieles, wenn nicht alles, hätte gegen den deutschen Beitrag zum amerikanischen Abenteuer gesprochen, alles gegen das amerikanische Abenteuer. Kein Zweifel, der Jugoslawe Milosevic ist ein Brutalo, der ohne Zögern Massenmorde, wenn nicht Völkermord geschehen läßt. Aber seit wann heilt man einen Irren, indem man auf ihn einprügelt? Die Uno verweigerte ihre Unterschrift, die Russen, panslawistische Tutoren der Jugoslawen, drangen auf eine diplomatische Lösung, auch die Franzosen haben inzwischen kalte Füße. Denn was die Nato mit ihren Raketen- und Bombenangriffen auf Ziele in Jugoslawien und dem Kosovo (militärische, unterstellen wir mal) bisher erreicht hat, erweist sich als das Gegenteil einer Pazifizierung der Region. Die Serben sind hinter Milosevic getreten, der hat seine "ethnischen Säuberungen" im Kosovo zu einem massenmörderischen Furioso gesteigert. Je mehr gebombt wird im Sinne der Humanität, desto mörderischer tobt die Inhumanitas – schlechthin pervers.
Aber voraussehbar. Solange man nicht das Risiko eines großen Landkriegs eingehen will, helfen Stellvertreter-Einsätze aus der Luft wenig. Solange man sich nicht ernsthaft mit den Russen um eine Pazifizierung bemüht und nur mokant lächelnd der Primakow-Mission zuschaut, ist ein Milosevic nicht kirre zu kriegen, ein Kofi Annan gefesselt und die Uno zum Kaspertheater degradiert. So blieb denn der demütigende Gang Primakows nach Belgrad ein Metzgergang mit ebenso vorhersehbarem Ergebnis. Milosevic hört nicht auf zu morden und zu brandschatzen, solange die Nato ihre Bomben und Raketen über Belgrad und Pristina ablädt.
Die Nato hört nicht auf zu bomben, solange Milosevic nicht seine Mördertruppe aus dem Kosovo zurückzieht.
Was kommt danach?
Und was danach kommen soll, weiß nur Slobodan Milosevic. Er möchte mit allen Mitteln der Gewalt dem Verfall Rest-Jugoslawiens vorbeugen. Gäbe er nach, sprengte ihm die UCK den Kosovo aus dem jugoslawischen Staatsverband. Nach seiner kruden Philosophie muß er alsoweitermachen. Was immer aus dem Himmel auf ihn herabregnen sollte.
Und wie stellen sich die Amerikaner, die Nato, die Deutschen eine Lösung vor? Nur auf der Basis des Waffenstillstandsabkommens von Rambouillet? Das die Jugoslawen nichtunterschrieben haben und die UCK-Leute nur im Wissen darum, daß die Milosevic-Leute nicht unterschreiben. Flösse nicht Menschenblut in Strömen, die Zwickmühlensituation wäre grotesk. Und wir können sagen, wir hätten an der Zwickmühle mitgearbeitet. Und dabeivermutlich nur den dummen Kasper gespielt. Da nützt es nichts, wenn der Kanzler im Bundeskabinett dekretiert: "Jetzt ist nicht die Zeit, in der die Mitglieder dieses Kabinetts Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Einsatzes stellen." Hier irrt Schröder, Fragen nach der Sinnhaftigkeit müssen gestellt werden, jede Minute, Tag und Nacht. Er irrt auch, wenn er meint, die Nato sei "Teil der deutschen Staatsräson". Und was ist mit der Uno-Charta? Unverständliche Völkerrechtslyrik?
Schröder, Fischer, Scharping müssen das Kunststück wagen, zusammen mit den Jugoslawen, den Russen, den Amerikanern, der Uno oder weiß noch mit wem, einen Schlüssel zu finden, der Jugoslawiens staatliche Unversehrtheit genauso garantiert wie die Minderheitsrechte der Kosovo-Albaner, die Absage an Blutrünstigkeiten sowohl auf serbischer wie auf UCK-Seite. Wenn schon nicht mit Milosevic, mit den Serben müssen und wollen wir auch in Zukunft leben. Ja, wollen! Diesen Auftrag kann man mit Bomben und Granaten nicht erfüllen.