junge Welt 29.03.1999

Die »Stimme Kurdistans« schweigt
Verbot für kurdisches Med-TV. Proteste gegen Schließung des Senders

Schon seit einer Woche darf die »Stimme Kurdistans« nicht mehr senden. Das kurdische Satellitenfernsehen Med-TV mit Sitz in London wurde von der Independent Television Commission ITC mit einem Sendeverbot belegt, da es »zu Gewalt und Verbrechen aufgerufen habe«. Nach der Verschleppung des PKK-Vorsitzenden Öcalan in die Türkei hatten PKK-Kommandanten in Interviews mit dem kurdischen Sender zu einer Verschärfung des Befreiungskampfes gegen den türkischen Staat aufgerufen.
Sicherheitskreise beschuldigen Med-TV zudem, mit seinen Meldungen die weltweiten militanten Proteste und Botschaftsbesetzungen von PKK-Anhängern gesteuert zu haben. Die ITC in London will innerhalb der nächsten drei Wochen prüfen, ob Med-TV dauerhaft geschlossen wird.
Tausende Kurden protestierten in den letzten Tagen in mehreren europäischen Ländern und den USA gegen die Schließung des Senders, der neben türkisch und arabisch auch in allen drei kurdischen Dialekten sendet. Für viele Kurden ist Med-TV die einzige Möglichkeit, tägliche Informationen direkt aus den Kriegsgebieten in ihrer Heimat zu erhalten. »Wir haben noch kein eigenes Land, aber Med-TV macht uns zu einer imaginären Nation im Äther«, so ein Kurde über die Bedeutung des Senders.
Die türkische Regierung hatte schon lange versucht, den seit 1995 aktiven Sender, der täglich bis zu 30 Millionen Menschen im Nahen Osten und in Europa erreichte, zu stoppen. Von diplomatischen Drohungen gegen europäische Staaten, in denen sich Med-TV-Studios befinden, bis hin zum massiven Einsatz von Störsendern reichten die Mittel. Daß die britischen Kontrollbehörden sich gerade jetzt dem türkischen Wunsch fügen, scheint kein Zufall. Der Prozeß gegen Abdullah Öcalan wird bald beginnen, und in der Türkei herrscht Wahlkampf. Die Existenz eines unabhängigen Senders, in dem neben den kurdischen Parteien auch die linke türkische Opposition eine Bühne findet, ist eine Gefahr für die Militärdiktatur.
Nick Brauns