Berliner Zeitung 29.3.99
Proteste gegen Nato-Angriffe
5 000 Demonstranten in Berlin / Rangeleien zwischen Serben und Polizei

Von Stefan Ehlert
BERLIN, 28. März. In zahlreichen deutschen Städten kam es am Wochenende zu Demonstrationen und Protestkundgebungen gegen den Nato-Angriff auf Jugoslawien.
In Berlin versammelten sich am Sonnabend rund 5 000 Menschen und protestierten gegen den Krieg. Die PDS, die zu der Veranstaltung aufgerufen hatte, sprach von 20 000 Teilnehmern. Auch einige hundert Serben und serbisch-stämmige Jugendliche waren erschienen. Einige hatten sich die serbische Königsfahne umgelegt, andere schwenkten die rot-weiß-blaue Fahne Serbiens und riefen „Nato raus“. Manche zeigten Plakate, auf denen der serbische Diktator Milosevic zu sehen war.
Als einer der Hauptredner trat der Vorsitzende der PDS-Fraktion im Bundestag, Gregor Gysi, auf. Er nannte die Nato-Luftangriffe einen Verstoß gegen das Völkerrecht, gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und gegen den Nato-Vertrag, der militärisches Eingreifen nur für den Verteidigungsfall vorsehe. „Wenn die Logik der Nato stimmt, dann hätte die Türkei schon längst bombardiert werden müssen“, sagte Gysi in Anspielung auf die Lage der Kurden in der Ost-Türkei.
Am Ende der Kundgebung drohten schwere Ausschreitungen zwischen der Bereitschaftspolizei und serbischen Demonstranten, die die Beamten als Nazis und Faschisten beschimpften. Als Polizisten einen Demonstranten festnehmen wollten, weil er auf einem Plakat ein Hakenkreuz und den US-Präsidenten Clinton zeigte, kam es zu Rangeleien.
Demonstrationen europaweit
Eine aufgebrachte Gruppe von etwa 150 Serben zog kurz darauf auf der Straße Unter den Linden bis zur US-Botschaft. Polizisten drängten die zumeist jungen Leute zurück. Daraufhin ging die Gruppe zur nahegelegenen Vertretung der Russischen Föderation. „Russia, Russia“, riefen die Demonstranten. Erst nach einer Stunde löste sich die spontane Kundgebung auf.
Insgesamt wurden am Sonnabend bei den Demonstrationen in Berlin 15 Menschen vorläufig festgenommen, zumeist jugoslawische Staatsangehörige. Ihnen drohen Verfahren wegen Landfriedensbruchs, Widerstands gegen die Staatsgewalt und gefährlicher Körperverletzung. Acht Polizisten wurden leicht verletzt.
In Stuttgart zogen rund 4 000 Menschen durch die Straßen und riefen antiamerikanische Parolen. Redner auf einer Kundgebung kritisierten die deutsche Beteiligung an den Luftangriffen. Etwa 1 500 Serben demonstrierten in der Nürnberger Innenstadt und verurteilten die Bombardements als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auf Transparenten hieß es: „Deutschland schäm Dich“. In Deutschland lebende Serben protestierten auch in Hamburg, Hannover, Bremen und Bielefeld.
20 000 Teilnehmer zählte die Polizei bei Demonstrationen in Italien. Der größte Protestzug formierte sich in Mailand, wo junge Leute vor dem US-Konsulat Rufe wie „Yankee go home“ skandierten. Protestierende Serben in London hängten eine Puppe auf, die US-Präsident Bill Clinton als Hitler darstellte. In Den Haag zogen meist junge Menschen mit Kerzen in den Händen vor den Friedenspalast der Stadt. In Wien kamen mehrere tausend Menschen vor der US-Botschaft zusammen. (mit AP)